Lesley Pearse
zurückgehalten hatte, zu rollen. »Willst du mich nicht mehr sehen?«, schluchzte sie.
»Natürlich will ich das«, antwortete er schroff. »Ich meinte nur, dass du nicht mehr zu uns kommen sollst. Ich treffe dich Dienstag um fünf bei Holy Joe’s.«
»Aber warum, Vater?«, fragte sie verwirrt. »Ich dachte, du möchtest, dass ich nach Hause komme und euch ein Abendessen koche?«
Für einen Moment sah er sie nur schweigend an. Seine blauen Augen, die den ihren so glichen, waren traurig und getrübt. »Du bist diesem Ort nun entkommen, und ich möchte nicht, dass du noch einmal in seine Nähe kommst«, erklärte er schließlich. »Schau nie zurück, Matty. Nie und nimmer.«
Später an diesem Abend lag Matilda im Bett in ihrem kleinen Raum direkt neben dem Kinderzimmer und genoss glücklich die Wärme und den Platz, den sie nun für sich hatte, die vollständige Ruhe und das Gefühl der weichen, wohlriechenden Laken auf ihrer Haut. Ihre Kindermädchentracht, ein einfaches dunkelblaues Kleid, hing hinter der Tür, und eine schneeweiße Haube und Schürze lagen für den nächsten Tag auf einem Stuhl bereit. Sie war noch keine acht Stunden im Pfarrhaus, aber in dieser kurzen Zeit war sie mit so vielen ihr unbekannten Dingen und Erfahrungen konfrontiert worden, dass sie vor lauter Aufregung nicht schlafen konnte.
Es mochte das kleinste, unauffälligste Haus des Viertels sein, doch ihr erschien es dennoch riesig. Abgesehen von der Küche und dem Wohnzimmer, gab es noch ein Esszimmer und einen Raum mit vielen Büchern, den Giles sein Studierzimmer nannte. Im oberen Stockwerk gab es vier Räume, und jeder war voller Möbel – Kommoden, Stühle und seltsame kleine Tische, deren einziger Zweck es war, Schmuckgegenstände zu präsentieren –, und alles war so aufpoliert, dass es wie Glas funkelte. Öllampen hatte sie bis heute nur aus der Entfernung gekannt, aber Lily hatte ihr gezeigt, wie man sie auffüllte, die Dochte einsetzte und sie anzündete. Jede einzelne Lampe erhellte einen Raum besser, als es ein Dutzend Kerzen vermochten. Im Kinderzimmer gab es ein Gitter vor dem Feuer, um zu verhindern, dass Tabitha sich verletzte. Fleisch wurde in speziellen Behältern aufbewahrt, um es vor den Fliegen zu schützen. Dass sie sich jemals an die große Anzahl Teller und Servierplatten in diesem Haus gewöhnen würde, konnte sich Matilda nicht vorstellen. Zu Hause hatte es nur einen Blechteller für jeden gegeben, der nach dem Essen so sauber geleckt wurde, dass man ihn eigentlich nicht mehr spülen musste. Hier gab es Zuckerlöffel, Buttermesser, Schüsseln und Teller für Speisen, von denen sie noch nie gehört hatte. Sogar die Nachttöpfe waren mit hübschen Blumen dekoriert.
Matilda sah das Haus der Milsons nicht nur als Arbeitsplatz, sondern auch als Ort, an dem sie viele Chancen wahrnehmen konnte. Giles hatte ihr versprochen, sie dürfte jedes Buch in der Bibliothek lesen, das sie interessierte. Lily würde ihr das Nähen beibringen, und Aggie wollte ihr zeigen, wie man kochte und wusch. Es war alles so aufregend, und Tabitha war das bewundernswerteste, gutmütigste Kind, das sie je getroffen hatte.
Es gab nur eine dunkle Wolke am Horizont. Matilda hatte bemerkt, wie Lily einige Male die Miene verzogen hatte, und sie vermutete, dass Lily nicht gefiel, wie sie sprach und wenig vornehm aß. Doch sie würde sich hiervon nicht allzu sehr beunruhigen lassen. Wenn sie Lily genau beobachten und ihr zuhören würde, könnte sie sicher bald ihr vornehmes Verhalten und ihre schöne Art zu reden kopieren.
Während sie so im Bett lag und über die Ereignisse des Tages nachdachte, begann sie auch, den Wunsch ihres Vaters ein wenig besser zu verstehen, sie sollte nicht zum Finders Court zurückkehren. Ihre eigene Mutter war vom Lande gekommen, um in einem solch schönen Haus wie diesem zu arbeiten, und wenn sie sich nicht in einen Fährmann verliebt hätte, wäre ihr Leben weiterhin sicher und bequem gewesen. Matilda war beim Tod ihrer Mutter zu jung gewesen, um wissen zu können, ob Nell ihre Hochzeit mit Lucas bereut hatte, aber ganz offensichtlich war er überzeugt davon, seine Frau und Familie enttäuscht zu haben. Jetzt, da seine Tochter die Chance bekam, ihre Stellung zu verbessern, wollte er, dass nichts und niemand sie davon abhielt, die Stufen der gesellschaftlichen Leiter zu erklimmen.
Sie vermutete, sein Ratschlag, niemals zurückzuschauen, war weise und gut gemeint. Aber glaubte er wirklich, sie könnte ihre
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