Lesley Pearse
gelindert. Ihre Gegenwart war für das Glück und die Sicherheit der ganzen Familie unerlässlich geworden. Er wäre ein Narr, wenn er sie nicht mitnehmen würde.
3. K APITEL
D as dort drüben ist es«, rief Lucas und stützte sich einen Moment auf sein Ruder, um auf ein kleines Haus auf der anderen Seite der Themse einige Hundert Meter entfernt zu deuten. »Und wenn ich mich nicht sehr täusche, kommt Dolly gerade aus der Tür, um uns zu begrüßen.«
Matilda drehte sich in ihrem Platz im Bug des Schiffes, um hinüberzuschauen. Zu ihrer Freude war das neue Haus ihres Vaters sogar noch schöner, als er es beschrieben hatte. Sie waren zu weit weg, um Dolly erkennen zu können, aber die einladende Art und Weise, wie sie zum Bootssteg herunterlief und ihnen fröhlich mit beiden Armen zuwinkte, erfüllte Matilda mit Freude für ihren Vater.
Es war früher Januar und bitterkalt. Ein strenger Wind wehte über das Wasser, und es war ein langer Weg von Chelsea aus gewesen, wo ihr Vater sie an Bord genommen hatte. Matilda zog eine Hand aus dem neuen Umhang hervor, den die Milsons ihr zu Weihnachten geschenkt hatten, und winkte zurück. Sie hatten ihr zwei freie Tage gewährt, damit sie ihren Vater besuchen und seine neue Lebensgefährtin kennen lernen konnte.
Der letzte August mit seinem erstickend heißen Wetter war eine Art Wendepunkt in ihrem eigenen sowie im Leben ihres Vaters gewesen. In diesem Monat hatte sie von Reverend Milsons Entschluss gehört, nach Amerika zu gehen, ihr Vater hatte Dolly getroffen, und ihre Brüder waren fortgelaufen, weil sie von ihrem Vater eine Tracht Prügel bekommen hatten, nachdem er sie beim Stehlen erwischt hatte. Zunächst hatte Lucas vermutet, sie würden sich im nahen Seven Dials verstecken, doch alle seine Versuche, sie zu finden, waren erfolglos geblieben.
Etwa zur selben Zeit hatte er Dolly Jacobs getroffen. Er hatte an einem heißen Nachmittag eine Gruppe Ausflügler in Richtung des kleinen Dorfes Barnes gerudert, und einer von ihnen hatte vorgeschlagen, eine Erfrischungspause am »Willow Cottage Teegarten« einzulegen.
Lucas war im Boot geblieben, während sich die Gruppe mit ihren Teetassen und Kuchenstücken an Tischen im hübschen Garten am Flussufer niedergelassen hatte. Aber wenig später war die Besitzerin des Teegartens gekommen und hatte ihm etwas zu trinken angeboten. Er fand sie damals sehr sympathisch und bot ihr an, bald noch einmal wiederzukommen und ein altes Ruderboot für sie zu reparieren, das an ihrem Landesteg vertäut lag.
Nachdem er das Boot repariert hatte, stattete er ihr regelmäßig Besuche ab und erledigte noch andere kleinere Arbeiten für sie. Bald entstand zwischen ihnen eine tiefe Freundschaft. Dolly und ihr verstorbener Mann hatten früher eine sehr erfolgreiche Konditorei in Cheapside betrieben. Vor etwa fünf Jahren hatten sie das Geschäft aufgegeben und sich wegen Mr. Jacobs schwindender Gesundheit nach Willow Cottage zurückgezogen. Doch er war bereits ein Jahr später gestorben. Er hinterließ seiner Frau zwar ein großzügiges Erbe, aber sie war einsam und eröffnete deshalb den Teegarten.
Ende Oktober bekamen sie von einem Fuhrmann namens Albert Gore aus Deptford schließlich Nachrichten von George. Er hatte George und Luke dabei erwischt, wie sie Waren von seinem Wagen stahlen. Luke war entkommen, aber der Fuhrmann hatte Mitleid mit George gehabt und ihn mit zu sich nach Hause genommen, um ihm etwas zu essen zu geben und ihn ordentlich zu waschen. George erzählte ihm von seiner Familie und seinem Bruder, und bald wurde Mr. Gore klar, dass Luke seinen leicht beeinflussbaren Bruder zum Stehlen überredet hatte. Da Mrs. Gore sehr von George angetan war, boten sie ihm ein Zuhause an und schrieben schließlich einen Brief an Lucas, der daraufhin sofort nach Deptford reiste, um seinen Jungen abzuholen. Als er aber die Gores als respektable und freundliche Familie kennen lernte und sein jüngster Sohn ebenfalls glücklich bei ihnen zu sein schien, erlaubte er ihm, dort zu bleiben, wo er außerdem vor Lukes schlechtem Einfluss sicher war.
Es stellte sich später heraus, dass Luke nicht mehr zu helfen war. Trotz seiner elf Jahre fühlte er sich in den kriminellsten Gegenden Londons zu Hause, hatte Spaß am Trinken, an Prügeleien und begeisterte sich für jede Art von Gaunerei. Lucas war klar geworden, dass er sehr bald sicher zu ernsthafteren Verbrechen übergehen würde und es verlorene Zeit wäre, ihn zu verfolgen.
Im November erzählte
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