Lesley Pearse
verstorbenen Mann habe ich bewundert und sehr gemocht, er hat mir alles beigebracht, was ich weiß. Ich habe ihn schrecklich vermisst, als er starb, doch ich habe ihn nie auf so leidenschaftliche Art und Weise geliebt wie deinen Vater.«
Matilda war sich nicht sicher, ob sie hören wollte, dass Dolly ihren Vater leidenschaftlich liebte. Es erschien ihr nicht besonders anständig.
»Mr. Jacobs hat mich damals aus der Armut gerettet, aber glücklich hat mich eigentlich erst dein Vater gemacht. Er kam einfach mit seinen blauen Augen daher und verursachte mir Schmetterlinge im Bauch, als ich jegliche Hoffnung bereits aufgegeben hatte, in meinem Alter noch einmal mit einem Mann glücklich zu werden. Heirate also nie einen Mann wegen seines Geldes, Matty. Gehe sicher, dass er freundlich ist und dich zum Lachen bringen kann.«
Als Matilda am nächsten Tag bereit war, zu den Milsons zurückzukehren, konnte sie Dolly spontan umarmen. Sie war ein wahrer Glücksfall, großzügig und liebenswert. Ihre Persönlichkeit erfüllte das kleine Haus, ihr Lachen und freundliches Geplapper umhüllten den Zuhörer wie eine warme Decke. Als Matilda sah, wie zärtlich sie Lucas’ Mantel zuknöpfte und ihm einen warmen Schal umband, fühlte sie einen Kloß im Hals. Es war rührend, wie sich Dolly an allem freute, was Lucas für sie tat, auch wenn es nur kleine Aufmerksamkeiten waren, wie das Zubereiten einer morgendlichen Tasse Tee oder dass er die Asche aus dem Ofen kehrte und sie auf den Weg vor der Tür streute, damit Dolly nicht ausrutschte.
Matilda fühlte, dass sie frohen Herzens nach Amerika reisen konnte. Die beiden würden miteinander alt werden. Beide würden ihre Liebe zueinander hüten wie einen Schatz, weil sie auch ein Leben ohne Liebe kannten.
»Seht zu, dass ihr Anfang April heiratet«, rief Matilda.
»Das werden wir«, rief Dolly, nahm Matilda in den Arm und hüllte sie in eine Duftwolke aus Lavendel. »Und denke daran: Sollte es dir in Amerika nicht gefallen, kannst du immer hierhin zurückkehren.«
»Nun, was hältst du von Dolly?«, fragte ihr Vater, als sie die Mitte des Flusses erreicht hatten. Er musste laut rufen, damit der Wind seine Worte nicht forttrug.
»Sie ist genau die Richtige für dich«, antwortete Matilda und zog sich eine Decke fest um die Schultern. »Ich denke, Reverend Milson würde sagen, dass du dem lieben Gott auf den Knien danken solltest.«
»Das habe ich bereits, Matty, das habe ich«, versicherte er und lächelte breit. »Ich wünschte nur, dass ich sie direkt nach dem Tod deiner Mutter getroffen hätte, nicht Peggy.«
»Du hast einmal zu mir gesagt: ›Lass dich nie mit einem trauernden Mann ein‹«, erwiderte Matilda blitzschnell. »Deshalb bin ich froh, dass du sie nicht schon damals getroffen hast, auch wenn ich sie gern als Mutter gehabt hätte.«
»Da hast du Recht«, Lucas kicherte. »Sehr schön, dass du die weisen Worte deines Vaters so gut im Gedächtnis behalten hast!«
Drei Monate später stand Matilda mit Lily im Gästeraum des Pfarrhauses und versuchte, einen riesigen Lederkoffer zu schließen. Doch das Gewicht der beiden Frauen auf dem Koffer war nicht ausreichend, die Schlösser blieben störrisch einige Zentimeter voneinander entfernt.
»Er lässt sich nicht schließen, Madam«, murmelte Matilda müde. »Es ist zu viel drin!«
Lily warf sich auf das Bett und vergrub das Gesicht in den Händen. »Oh, Matty. Ich habe langsam genug von all dem«, wimmerte sie.
Matilda war versucht, der Frau zu sagen, sie solle sich endlich aufrappeln und nicht ständig selbst bemitleiden. Weihnachten hatte Lily die Idee eigentlich noch gefallen, nach Amerika zu gehen. Aber seitdem hatte sie sich langsam in vollkommen unnötige Ängste gesteigert. Sie schien zu glauben, dass ganz Amerika ein Ödland war, in dem Menschen in Hütten ohne jede Bequemlichkeit hausten und wo es nicht einmal Geschäfte gab, in denen man die wichtigsten Dinge kaufen konnte. Alles, was ihr Mann und sie besaßen, wollte sie mitnehmen. Nicht nur Kleidung, Bücher, Bettwäsche und Porzellan, sondern auch ganze Stoffballen, um daraus Kleidungsstücke für die Zukunft zu nähen. Bislang hatten sie den Schrankkoffer schon sechs Mal ein- und wieder ausgeräumt.
Dennoch empfand Matilda auch Mitleid mit Lily – sie lebte schon so lange in Primrose Hill und liebte das Pfarrhaus. Ihr Mann hatte über ihren Kopf hinweg über die Reise entschieden, ohne wirklich an ihre Gefühle zu denken, an Gefahren für ihre Tochter
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