Lesley Pearse
nicht notwendig«, widersprach die Frau knapp. »Molly stellt sich gern krank, sie sieht es als hervorragende Möglichkeit an, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Ich war vor einer Stunde noch bei ihr und habe nichts Beunruhigendes entdecken können.«
»Vielleicht hat sich ihre Situation seitdem verschlechtert«, entgegnete Matilda mit fester Stimme. »Ich werde Doktor Kupicha benachrichtigen.«
Es war beinahe eine Woche später, als Dr. Kupicha ihnen in der State Street einen Besuch abstattete. Als Matilda ihn aufgesucht hatte, um ihn über Mollys Zustand zu informieren, war er gerade auf Krankenbesuch gewesen, aber sie hatte ihm eine Nachricht hinterlassen, und er war am nächsten Tag nach New Jersey gefahren.
Er hatte Masern diagnostiziert und Molly sofort von den anderen Kindern isoliert. Seither waren noch zwölf weitere Kinder erkrankt.
Matilda erblasste bei diesen Neuigkeiten. Masern waren zwar nicht so gefährlich wie Cholera oder Pocken, aber sie konnte sich noch erinnern, wie die Krankheit durch die Londoner Slums gefegt war und viele Kleinkinder dahingerafft hatte. Die Überlebenden waren oft taub oder blind geblieben.
»Man kann die Verbreitung von Masern nur schwer kontrollieren«, erklärte der Doktor zögerlich und schaute Giles an. »Die Inkubationszeit beträgt bis zu sechzehn Tage, und natürlich sind die anderen Kinder in dieser Zeit mit Molly in Kontakt gewesen. Ich fürchte, sie wird nicht überleben.«
Lily Milson hatte sich bisher nicht am Gespräch beteiligt, sondern hatte still ihre Handarbeit ausgeführt. Doch plötzlich ließ sie ihr Nähzeug fallen und schaute zutiefst erschrocken zwischen Dr. Kupicha und Matilda hin und her. »Matilda hat das Kind doch auch berührt, oder? Was ist, wenn sie Tabitha angesteckt hat?« Ihre Stimme war vor Angst verzerrt.
»Das ist sehr unwahrscheinlich«, erklärte Dr. Kupicha beruhigend, ging zu Lily hinüber und legte seine Hand beruhigend auf ihre Schultern. »Matilda hätte sich erst infizieren müssen, bevor sie einen anderen anstecken kann. Außerdem muss man hierfür sehr nahen Kontakt mit einer Person haben. Molly hat die Krankheit von einem Kind einer durchreisenden Familie, mit dem sie im Garten gespielt hatte.«
Lily stieß einen Schrei aus, als hätte sie eine Kakerlake oder eine Maus gesehen. Sie sprang auf die Füße und baute sich mit funkelnden Augen vor Matilda auf. »Du bist doch sicher nah an das Mädchen herangegangen, nicht wahr?« Lily schrie sie hemmungslos an. »Wahnsinnige! Wie konntest du mein Kind in Gefahr bringen?«
Matilda wurde wütend. »Natürlich habe ich mir Molly aus der Nähe angesehen. Wie sollte ich sonst feststellen, ob sie einen Arzt benötigt?«
»Du bist nur beauftragt worden, zwei Kinder dort abzuliefern, nicht, deine Nase in Krankenzimmer zu stecken. Außerdem hast du mir bei deiner Heimkehr nicht erzählt, dass eines der Kinder krank war«, fuhr Lily erbost fort.
Dr. Kupicha unterbrach sie. »Wenn Matilda als Kind Masern gehabt hat, und das ist sehr wahrscheinlich, kann sie die Krankheit nicht übertragen.«
Matilda konnte sich nicht daran erinnern, jemals krank gewesen zu sein, aber sie hütete sich davor, dies zuzugeben. Dr. Kupicha hatte soeben herausfinden müssen, dass Lily nicht das Mitleid ihres Mannes für Kinder in Not teilte, und das war Matilda unangenehm genug. Sie wollte um jeden Preis verhindern, dass er einem von Lilys hysterischen Anfällen beiwohnte.
Es war fast eine Woche später, als Matilda begann, sich krank zu fühlen. Ihre Glieder schmerzten, und ihr war ständig kalt, als hätte sie eine Grippe. Aber erst zwei Tage später bemerkte sie erschüttert, dass es die Masern sein mussten. Da sie Angst hatte, Lily davon zu erzählen, wartete sie, bis sie mit Giles allein in der Küche war.
»Es tut mir so Leid, Sir«, flüsterte sie. »Ich weiß, Madam wird mich hassen, weil ich die Krankheit ins Haus gebracht habe. Was soll ich bloß tun?«
Sein Gesicht verlor jegliche Farbe, und er schaute nervös zum Wohnzimmer. »Du kannst nichts dafür, Matty. Geh jetzt zu Bett, du musst dich schrecklich fühlen. Ich erkläre es Mrs. Milson und rufe den Arzt.«
Als sie gerade ins Bett kletterte, hörte sie Lilys aufgebrachten Schrei, aber sie fühlte sich zu krank, um sich darum zu kümmern. Später kam Dr. Kupicha ins Zimmer. Nach der Untersuchung riet er ihr, sich mit kaltem Wasser abzureiben, doch abgesehen von einigen Getränken, die er ihr empfahl, und ein wenig Medizin, konnte er wenig
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