Lesley Pearse
lauschte seinen Erzählungen über Dampfschiffe auf dem Mississippi und Indianer, die in der weiten Steppe lebten. Seine Begeisterung steckte sie an, und sie schwor sich, den Milsons bei ihrer Rückkehr sofort von ihren Plänen mit Flynn zu erzählen.
Es war an ihrem letzten gemeinsamen Nachmittag, als Matilda entdeckte, dass Flynn schon sehr bald in den Süden gehen wollte. Sie schlenderten durch die Hester Street, einem fast ausschließlich jüdischen Viertel im Osten der Stadt. Er blieb stehen, um sich einen dunkelgrünen Mantel mit Silberknöpfen anzusehen, der in der Auslage eines Geschäftes hing, das gebrauchte Kleider feilbot. Obwohl der Stoff von außergewöhnlich guter Qualität war und einen wunderbaren Schnitt hatte, war der Mantel mit nur zwei Dollar ausgezeichnet.
»Er ist wie für dich gemacht, mein Junge«, versicherte der Verkäufer, und bevor Flynn etwas entgegnen konnte, hatte der Alte ihm den Mantel schon umgelegt. Er saß tatsächlich wie angegossen, und Matilda erklärte lachend, er könnte jetzt als irischer Lord durchgehen.
Zu ihrer Überraschung kaufte Flynn den Mantel tatsächlich. »Jetzt bin ich für meine Reise vollkommen ausgestattet.« Flynn grinste.
»Du sprichst, als wolltest du heute noch deine Bootsfahrt buchen«, scherzte sie.
»Nicht mehr in dieser Woche. Aber in der nächsten!«
Matilda war völlig überrascht. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er sie so plötzlich verlassen wollte, vor allem jetzt, da sie sich so nahe gekommen waren.
»Schau mich nicht so traurig an, Liebling!« Er legte den Arm um ihre Schultern. »Es ist das Beste, wenn ich bald gehe.«
»Ich verstehe nicht«, murmelte sie, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Denkst du wirklich, wir könnten uns jemals wieder damit zufrieden geben, auf die Freitage zu warten und Händchen zu halten?« Er küsste sie und strich ihr die Tränen von den Wangen. »Es wäre die Hölle, Matty.«
Matilda wusste genau, was er meinte. Seit ihrer gemeinsamen Nacht verlangte es sie bei jedem seiner Küsse nach mehr Nähe und leidenschaftlichen Umarmungen. Sie konnte an nichts anderes denken, und tief in ihrem Herzen wusste sie, dass sie sich nicht mehr beherrschen würden, wenn sich eine solche Gelegenheit noch einmal ergeben würde.
Flynn zog Matilda an sich, und seine Stirn berührte die ihre. »Lass mich mit deinem Segen gehen«, flüsterte er. »Denn je eher ich die Stadt verlasse, desto früher kannst du mir folgen, und wir können endlich heiraten.«
Matildas Augen füllten sich mit Tränen. Es war hart genug gewesen, ihn nur ein Mal in der Woche sehen zu können, aber wenigstens waren sie immer in derselben Stadt gewesen. Charleston dagegen lag über siebenhundert Meilen entfernt.
»Du hast doch nicht etwa Angst, dass ich dich vergessen werde?« Er küsste ihre Tränen fort. »Ich werde dir schreiben, sobald ich angekommen bin. Vertrau mir, Matty, und lass mich gehen.«
Er brachte sie bis zur Ecke der State Street und ging dann zur Arbeit. Matilda sah ihm nach, und die Tränen liefen ihr die Wangen herunter. Sein leichter Gang, sein weiter Anzug, der graue Hut und seine Korkenzieherlocken waren ihr mit einem Mal so überaus wertvoll, dass sie ihm hinterherlaufen wollte, damit er sie mit auf seine Reise nahm. Aber das war ja unmöglich. Sie schuldete den Milsons zu viel, um wie ein Dieb in der Nacht zu verschwinden.
Der Mai ging in den Juni über, und bald wurde es wieder so heiß, dass Matilda nachts kaum schlafen konnte. Ihr blieb also viel Zeit, sich darauf vorzubereiten, den Milsons von Flynn zu erzählen. Aber jeder Morgen lieferte ihr einen neuen Grund, ihr Vorhaben noch ein wenig aufzuschieben. Das wichtigste Hindernis war jedoch, dass sie immer noch keinen Brief von ihm erhalten hatte. Ohne Giles und Lily erklären zu können, wann genau sie gehen würde, wollte sie nicht auf sie zugehen.
An einem frühen Morgen im Juli war Matilda gerade damit beschäftigt, die Eier für das Frühstück vorzubereiten und Schinken für Tabitha und Giles zu braten, als Lily vollständig angezogen die Treppe herunterkam.
»Guten Morgen«, sagte Matilda lächelnd. »Hat der Geruch des Schinkens Sie heruntergelockt?«
Zu ihrer Bestürzung wurde Lily plötzlich bleich, schwankte und rannte in den Garten hinaus. Matilda stellte die beiden Teller mit Essen unsanft auf dem Esstisch ab und folgte ihrer Herrin. Die Toilettentür stand offen, und Lilys Kleider schauten aus dem Eingang hervor. Matilda konnte sie würgen
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