Lesley Pearse
Tabitha verloren und desinteressiert mit ihrer Puppe im Garten und machte keinerlei Anstalten, Matilda wie sonst beim Aufhängen der Wäsche zu helfen. Obwohl sie selbst erschöpft war, brachte sie Tabitha am Nachmittag ins Bett, um ihr eine Geschichte vorzulesen.
Es war Giles, der gegen vier Uhr zuerst zurückkehrte, gerade als Matilda in Panik zu geraten begann, weil Tabitha zu husten angefangen hatte. Hinter ihren Ohren hatte sich der unverkennbare Ausschlag gebildet. Giles wurde blass, als er die Situation durchschaute, und fragte nach seiner Frau.
»Ich weiß nicht, wo sie ist«, bekannte Matilda und kämpfte gegen die Tränen an. »Sie hat nur gesagt, dass sie ausgehen wollte. Ich dachte, sie würde nicht länger als ein paar Stunden fortbleiben.«
Während Giles zu Dr. Kupicha fuhr, zog Matilda das Mädchen aus und deckte es zu. Verängstigt und allein wie sie war, schien es ihr, dass sich Tabithas Zustand von Minute zu Minute verschlechterte. Sie konnte nichts anderes tun, als ihr die Stirn zu kühlen und sich immer wieder vorzubeten, am Zustand der Kleinen nicht schuld zu sein.
Giles, der Doktor und Lily kamen gemeinsam zurück. Alle drei liefen direkt hoch ins Schlafzimmer, aber als Dr. Kupicha Matilda nach dem Einsetzen der Symptome fragte, schickte Lily sie aus dem Raum. Matilda glaubte, dass ihre Herrin ihr an diesem Tage noch fürchterliche Vorwürfe machen oder sie gar entlassen würde, aber das war ihr in diesem Moment gleichgültig. Sie hoffte nur inständig, dass Tabitha überleben würde.
Tatsächlich stürmte Lily in die Küche, sobald der Doktor das Haus verlassen hatte. »Ich möchte nicht, dass du meiner Tochter je wieder zu nahe kommst.« Ihre Gesichtszüge waren vor Wut verzerrt. »Du hast diese schreckliche Krankheit ins Haus gebracht, und das werde ich dir nie verzeihen.«
»Ich konnte nichts dafür, Madam«, erklärte Matilda. »Ich wusste nicht, dass Molly Masern hatte. Ich habe nur getan, was jeder getan hätte, und ihr ein Glas Wasser gegeben und sie beruhigt.«
»Du bist eine Verräterin«, fuhr Lily sie an. »Ich weiß genau, dass du es warst, die den Reverend dazu überredet hat, an diese schlimmen Orte zu gehen und Kinder aufzuspüren. Ich dachte, ihr würdet nette kleine Kinder nach New Jersey bringen, und nicht schmutzige Bettlergören. Aber ich hätte es wissen müssen. Du warst schließlich selbst ein Gossenkind.«
»Es war nicht meine Idee«, entgegnete Matilda und fragte sich ernsthaft, ob Lily den Verstand verloren hatte. »Es war Reverend Kirkbrights Wunsch.«
»Versuche bloß nicht, dich herauszureden. Ich weiß genau, was du bist.« Lilys Gesicht war rot vor Wut. »Du bist ein verräterisches, undankbares freches Etwas. Du hast dich hinter meinem Rücken mit meinem Mann verbündet. Du wirst Tabbys Zimmer nicht betreten. Ich werde sie allein pflegen. Und Gott sei mir gnädig, wenn Tabitha etwas zustößt, werde ich dich umbringen.«
Sie rannte wieder ins obere Stockwerk und ließ Matilda völlig erschüttert stehen. Später kam Giles in die Küche und entschuldigte sich für Lilys Benehmen. Er erzählte ihr auch, wie er und der Doktor sie auf dem Broadway gefunden hatten, wo sie ganz selbstvergessen spazieren gegangen war, ohne auf die Uhrzeit zu achten.
Giles schob ihr Verhalten auf die Überarbeitung während der vergangenen Woche, aber Matilda war dennoch der Überzeugung, dass nur eine Wahnsinnige solche Ungeheuerlichkeiten von sich geben würde. Abgesehen von dem Vorwurf des Verrats, der Verbündung mit Giles und den bösen Anspielungen auf ihre Herkunft, hätte Tabitha sich ebenso leicht in der Kirche oder bei den Kindern von Lilys Freundinnen anstecken können.
Als Giles wieder gegangen war, begann Matilda sich zu sorgen. Wenn Lily wirklich wahnsinnig geworden war – und wenn sie den ganzen Tag durch die Straßen gebummelt war, obwohl es ihrem Kind am Morgen schon schlecht gegangen war, lag der Verdacht nahe –, dann würde sie doch sicher nicht die alleinige Verantwortung für Tabitha übernehmen und sie pflegen können. Wenn sie sich nicht solche Sorgen um Tabitha machen würde, hätte sie auf der Stelle ihre wenigen Sachen gepackt und das Haus verlassen, doch dies brachte sie nicht über sich, solange sie nicht wusste, ob das Kind überleben würde.
In den folgenden drei Tagen bekam Matildas Sorge stets neue Nahrung. Nachts hörte sie das trockene Husten des Kindes aus dem Nebenraum, doch Lily gab nicht nach und verbot ihr den Zutritt. Die Frau wich
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