Letale Dosis
die Frau eines so mächtigen und einflußreichen Mannes ist. Sie lebt bescheiden und eher zurückgezogen. Sie mag nicht in der Öffentlichkeit stehen.«
»Und er?«
»Er ist ein Arbeitstier. Sehr hart, sehr konsequent, sehr durchsetzungsfähig. Es ist nicht immer leicht, mit ihm auszukommen, zumindest für andere nicht; wer ihn aber näher kennt, vor allem seine Macken, der weiß, wie er zu nehmen ist, und daß vor allem nicht jedes Wort von ihm auf die Goldwaage gelegt werden sollte.«
»Hatten Sie je das Gefühl, daß Laura Fink Angst vor ihrem Vater hat?«
Vivienne Schönau überlegte, sah die Kommissarin an, sagte: »Ich weiß nicht, ob es mir zusteht, darüber zu sprechen, aber Laura und ihr Vater haben nicht das beste Verhältnis. Ich kann aber nicht sagen, warum das so ist. Jedenfalls hat Laura seit zwei Jahren ihre eigene Praxis und hat, soweit mir bekannt ist, nicht sehr viel Kontakt zu ihren Eltern, was immer der Grund dafürsein mag. Aber bei den beiden Söhnen ist das nicht viel anders. Der eine, Stephan, ist Künstler, der andere, Jürgen, ist nur noch auf dem Papier ein Mitglied der Kirche. Es heißt sogar, er wäre ziemlich tief gesunken, Drogen, Alkohol, Frauen. Ich weiß nicht, was er genau macht, ob er überhaupt etwas macht, ich meine, ob er arbeitet.«
»Ich habe Dr. Fink heute nachmittag kennengelernt, und zwar bei seiner Tochter. Sie schien nicht sehr glücklich über seine Anwesenheit zu sein. Ich möchte Sie jedoch bitten, mit ihr nicht darüber zu sprechen.«
»Ich verspreche es.«
»Seit wann haben Fink, Ihr Mann und Rosenzweig zusammengearbeitet? In der Kirche, meine ich.«
»Bruder Fink wurde vor drei Jahren zum Regionshirten ernannt, am gleichen Tag wurden mein Mann und Rosenzweig seine Berater.«
»Und welche Tätigkeiten haben sie davor ausgeübt?«
»Mein Mann war Gebietssupervisor, genau wie Rosenzweig. Fink war Gemeindehirte. Was davor war, kann ich nicht mehr sagen, ich müßte nachschauen.«
»Haben Ihr Mann, Rosenzweig und Fink auch da schon kirchlich zusammengearbeitet?«
»Soweit ich weiß, ja. Sie haben auf jeden Fall immer Ämter innegehabt, wo sie direkt miteinander zu tun hatten.«
»Die Frage, warum die Männer getötet wurden, bereitet uns großes Kopfzerbrechen, Frau Schönau. Wenn wir nur einen winzig kleinen Anhaltspunkt finden könnten, etwas, wo wir ansetzen könnten. Ihnen fällt wirklich nichts ein?«
»Nein, es tut mir leid. Sollte mein Mann neben mir noch andere Frauen gehabt haben, so war das sicherlich eine Sünde. Doch ob das auch ein Grund war, ihn zu töten? Dann hätte Rosenzweig auch eine Geliebte haben müssen, vielleicht sogar die gleiche«, sagte Vivienne Schönau leise. »Aber das ist ja wohl ausgeschlossen.Deshalb kann ich mir kein Motiv vorstellen. Außer, ich wage diesen Gedanken gar nicht zu denken, mein Mann hat tatsächlich mit Kindern … Aber Rosenzweig? Er auch?« Sie schüttelte energisch den Kopf, ihr tizianrotes Haar schien im Sonnenlicht kleine Funken zu sprühen. »Nein, unvorstellbar.«
»Frau Schönau, gestern abend, als ich Sie fragte, warum Sie Ihre Töchter ins Internat gegeben haben, haben Sie sehr schnell geantwortet, daß Sie es so gewollt hatten. Gab es jemals eine Situation, wo Sie das Gefühl hatten, daß Ihre Töchter Ihnen etwas verschweigen, aus Angst vielleicht?«
»Nein. Hätte ich auch nur im geringsten gespürt, daß Janine und Chantal, sagen wir, Probleme hatten, ich hätte sofort mit meinem Mann darüber gesprochen. Es gab aber nichts dergleichen.«
Julia Durant nickte, trank ihr Glas leer, erhob sich. »Frau Schönau, danke für das Gespräch. Ich melde mich bei Ihnen, sobald ich Neuigkeiten habe. Und wenn es irgend etwas gibt, Sie wissen, wie ich zu erreichen bin.«
»Warten Sie, ich begleite Sie nach draußen«, sagte Vivienne Schönau und ging neben der Kommissarin zur Tür.
»Sie werden den Mörder finden?« fragte sie draußen.
»Wir geben uns alle Mühe, doch im Augenblick tappen wir völlig im dunkeln. Auf Wiedersehen.«
Am Auto angekommen, zündete sich Julia Durant eine Gauloise an, der Rauch stieg fast senkrecht in den Himmel. Es war beinahe windstill, kaum ein Mensch war auf der Straße, ein großer, dunkelblauer Mercedes mit getönten Scheiben fuhr langsam an ihr vorbei. Ein Blick zur Uhr, fünf nach halb sechs. Sie stieg ein, nachdem die größte Hitze durch die geöffneten Fenster entwichen war, startete den Motor, schaltete das Radio ein. Sie drückte einige Sendertasten, die Musik
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