Letale Dosis
könnte, Morde zu begehen? Ein Geheimnis, über das niemand bis jetzt mit mir reden wollte, obgleich ich fast sicher bin, daß es eins gibt.«
Frau Fink schluckte schwer, sie hielt den Blick zu Boden gerichtet, während sie neben der Kommissarin über den Rasen lief. Die Wolkendecke hatte sich noch weiter zugezogen, von fern war erstes Donnergrollen zu vernehmen. Es war nur noch eine Frage von Minuten, bis das Gewitter Frankfurt erreicht haben würde.
»Es gibt keine Geheimnisse bei uns«, sagte Frau Fink nach einer Weile. »Sie irren sich, wenn Sie das glauben sollten.«
»Ich irre mich also«, sagte Durant. »Dann sind die Drohungen gegen Ihren Mann also rein zufällig und haben keinen realen Hintergrund?«
»So wird es wohl sein. Welche Geheimnisse hatten denn Rosenzweig und Schönau? Hatten sie welche?«
»Wenn Sie es genau wissen wollen, ja, sie hatten welche.«
Frau Fink lachte kurz und trocken auf, sagte: »Tja, man kann eben nicht in die Menschen hineinschauen. Jeder baut irgendwann eine Fassade um sich, und je älter man wird, desto undurchdringlicher wird sie. Und welche Geheimnisse sich dahinter verbergen, vermag nur der zu sagen, der diese auch hütet, ganz gleich, wie schrecklich die auch sein mögen.«
»Frau Fink, ich bitte Sie, helfen Sie mir.«
»Ich kann nicht«, sagte sie, drehte sich um und sah Durant flehend an. »Bitte, gehen Sie und lassen Sie mich allein. Ich möchte nicht mit Ihnen über Dinge reden, die nur unsere Familie etwas angehen. Entschuldigen Sie mich bitte.«
»Warten Sie einen Moment, bitte.« Frau Fink blieb stehen, den Rücken Durant zugewandt. »Wovor haben Sie Angst? Vor Ihrem Mann?«
Sie ließ sich mit der Antwort ein paar Sekunden Zeit. Durant spürte jedoch die Anspannung der vor ihr stehenden Frau. »Ich habe keine Angst, ich wüßte nur nicht, was ich mit Ihnen noch besprechen sollte.«
»Sie haben Angst, das spüre ich. Und sollten Sie das Bedürfnis verspüren, doch mit mir reden zu wollen, dann rufen Sie mich an. Hier ist meine Karte, ich bin jederzeit für Sie zu sprechen.«
»Sie werden vergeblich auf meinen Anruf warten«, sagte Frau Fink und nahm die Karte.
»Auf Wiedersehen.«
Julia Durant ging zum Haus zurück, warf einen Blick nach oben,wo Fink am Fenster stand und mit starrem Gesichtsausdruck zu ihnen herunter sah. Sie begab sich zum Auto, zündete sich eine Zigarette an, schaute zur Uhr, kurz vor vier. Sie verspürte ohnmächtige Wut, schloß kurz die Augen, inhalierte tief, behielt den Rauch lange in den Lungen, bevor sie ihn wieder ausstieß. Es gab Tage, da haßte sie ihren Beruf, wünschte sie sich, eine einfache Sekretärin in einem stinknormalen Büro zu sein. Eine Frage hämmerte in ihrem Hirn – welches Geheimnis teilten Rosenzweig, Schönau und Fink? Zwei waren schon tot, und es war nur eine Frage der Zeit, bis auch Fink den Gang alles Irdischen antreten würde. Sie setzte sich in den Wagen, stellte Hitradio FFH ein, Die Zwei Beiden. Das erste Lied nach den Nachrichten war Bryan Adams und Mel C mit ›When you’re gone‹. Sie drehte auf volle Lautstärke, sie wollte auf dem Weg nach Hause nicht mehr über Fink und die andern nachdenken. Für heute hatte sie die Schnauze voll. Die ersten Blitze zuckten über den Himmel, gefolgt von gewaltigen Donnerschlägen. Der Verkehr war dicht und zähflüssig. Sie hielt vor einem Penny Markt, kaufte ein paar Kleinigkeiten ein und kam um kurz nach fünf vor ihrer Wohnung an. Die ersten dicken Regentropfen platschten auf die Straße.
Freitag, 17.10 Uhr
Julia Durant holte die Post aus ihrem Briefkasten, zwei Briefe, eine Rechnung, das neue GEO. Sie lief die Treppen nach oben, ihr war heiß, ihre Füße waren geschwollen. Sie schloß auf, trat ein, kickte die Tür mit dem Fuß zu. Sie stellte die Einkaufstasche auf dem Boden ab, warf die Handtasche auf die Couch, rannte zum weit offenstehenden Wohnzimmerfenster, schloß es, rannte ins Schlafzimmer, um auch dort das Fenster zu schließen. Die Tropfen waren von einer Sekunde zur andern in einen heftigen Schauer übergegangen, in einem fort erhellten grelle Blitze dendunklen Himmel, ließen krachende Donnerschläge das Haus erzittern. Sie nahm die Tasche, stellte sie auf den Küchentisch, packte aus. Sie dachte über den vor ihr liegenden Abend mit Petrol nach, der erwartete, daß sie ihn besuchte. Daß sie mit ihm zu Abend aß, mit ihm Musik hörte, mit ihm schlief. Es würde das gleiche sein wie immer, und irgendwie langweilte sie der Gedanke, den
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