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Letale Dosis

Letale Dosis

Titel: Letale Dosis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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Abend und die Nacht mit ihm zu verbringen. Andererseits hatte sie das Bedürfnis nach körperlicher Zuwendung, und sie gestand sich ein, mit noch keinem Mann so gern geschlafen zu haben wie mit ihm. Er war einfallsreich, bisweilen ein bißchen ausgefallen in seinen Wünschen, doch er war ein guter Liebhaber. Aber das allein reichte ihr nicht, sie sehnte sich nach einem Mann, der immer für sie da war, dem sie ihre Sorgen anvertrauen konnte, der ihr zuhörte, wenn es ihr einmal nicht so gut ging. Und sie spürte mit der ihr eigenen untrüglichen Intuition, daß Petrol sich nie scheiden lassen würde, sosehr er dies auch immer beteuerte. Und sie war es leid, immer auf Abruf bereit zu stehen, zu kommen, wenn der gnädige Herr einmal Zeit für sie übrig hatte.
    Sie zuckte die Schultern, machte den Kühlschrank zu, steckte sich eine Zigarette an, öffnete eine Dose Bier. Sie setzte sich auf die Couch, nahm die Post in die Hand, legte die Beine auf den Tisch. Die Stromrechnung legte sie ungeöffnet neben sich, ein Brief war von ihrem Vater, der andere von einer ehemaligen Schulkameradin, die sie für Anfang September zum alljährlichen Klassentreffen in ihren Heimatort einlud. Sie las den Brief ihres Vaters, der zwar nur selten schrieb, doch wenn er es tat, dann waren es fast nie weniger als sechs Seiten. Sie lächelte, ließ ihre Gedanken für einen Augenblick in die Vergangenheit schweifen, als sie noch ein Kind war und ihr Vater und ihre Mutter ihr all das gaben, was sich ein Kind nur wünschen konnte. Es waren aber weniger die materiellen Dinge, an die sie sich erinnerte, es waren mehr die Abende zu dritt, wenn sie zusammen im Wohnzimmeroder auf der Terrasse saßen und über Gott und die Welt philosophierten. Ihre Eltern hatten ihr nie das Gefühl vermittelt, nur ein Kind zu sein, sie hatten sie immer an ihrem Leben teilhaben lassen. Und dafür war sie ihnen unendlich dankbar. Sie hatte fast nie einen Grund gehabt, sich über ihre Eltern zu beschweren, sie konnte jederzeit mit jedem Problem zu ihnen kommen, und sie hatten ihr immer das Gefühl vermittelt, ernst genommen zu werden. Und die Zeit, die, als sie noch ein junges Mädchen war, nicht schnell genug verfliegen konnte, war doch schneller an ihr vorbeigezogen, sie war eine junge Frau geworden, hatte ihren ersten großen Liebeskummer erlebt, hatte ihre Mutter qualvoll dahinsiechen und schließlich sterben sehen, und sie würde nie das Leid und die Trauer ihres Vaters vergessen, der den Menschen verloren hatte, der ihm am meisten bedeutete. Fast neun Jahre waren seit dem Tod ihrer Mutter vergangen, die noch nicht einmal fünfzig Jahre alt gewesen war, als man sie zu Grabe trug. Julia Durant war gerade sechsundzwanzig gewesen, hatte ein Jahr zuvor ihre Ausbildung auf der Polizeiakademie als Jahrgangsbeste abgeschlossen und war gleich beim Sittendezernat in München gelandet. Sie dachte an ihre erste wirklich große Liebe, die sie auch geheiratet hatte. Doch die anfänglich scheinbar gute Ehe hatte sich zu einer Katastrophe entwickelt, weniger in seinen als in ihren Augen. Erst nach sechs Jahren wurden ihr die Augen geöffnet, wurde ihr hinter vorgehaltener Hand mitgeteilt, worin die vielen Überstunden ihres Mannes bestanden – im Durchbumsen seiner Mitarbeiterinnen in der Werbeagentur, die er leitete. Es war weniger die Tatsache selbst, daß er es mit anderen Frauen getrieben hatte, es war mehr die Schmach und die Demütigung, die sie in ihrem tiefsten Innern empfand. Jeder hatte es seit langem gewußt, nur sie nicht. Nachdem sie ihn aus der Wohnung geworfen und die Scheidung eingereicht hatte, wollte sie mit Männern nichts mehr zu tun haben. Sie war überzeugt, das Gehirn und die Gefühle der Männer steckten ausschließlich in ihremSchwanz, und wenn sie es einmal nicht mehr aushielt, wenn ihr Hormonpegel auf einen gefährlichen Niedrigststand sank, dann zog sie sich etwas Aufreizendes an, ging in
ihre
Bar, suchte sich einen Mann aus, der ihr gefiel, verbrachte die Nacht mit ihm und vergaß ihn gleich wieder.
    Nur bei Petrol war es anders. Er war charmant, gutaussehend, und er hatte das gewisse Etwas, das Frauen magisch anzog. Und weiß der Geier, warum, aber er hatte sie gewählt, auch wenn es eine rein sexuelle Beziehung war. Doch zumindest hielt er ihren Hormonhaushalt in Ordnung.
    Sie nahm einen Schluck von ihrem Bier, zündete sich eine weitere Zigarette an. Sie schaute zur Uhr, Viertel vor sechs. Sie überlegte, ob sie Petrol anrufen sollte oder nicht,

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