Letale Dosis
Fink, mit einem Mal hellwach. »Im Gemeindehaus? Was ist passiert?«
»Vermutlich das gleiche, was auch Hauser, Schönau und Rosenzweig passiert ist.«
»Ich ziehe mir nur schnell was über. Ich bin in spätestens zwanzig Minuten bei Ihnen.«
Julia Durant blickte sich um. Sie befand sich in einem großen, hellen Raum, der etwas Ehrfurchtgebietendes hatte. Sie berührte nichts, wollte nicht eventuelle Spuren verwischen. Sie sah zu Boden, kniff die Augen zusammen, ging weiter durch den Raum, sagte schließlich: »Schau dir mal den Teppich an. Sieht aus wie Brandflecken.«
»Zigaretten?« fragte Hellmer.
»Könnte sein. Aber die Mitglieder hier rauchen nicht. Das ist allerdings merkwürdig. Fällt unsere Psychologin als Täterin doch aus? Ich hab sie bis jetzt dreimal getroffen, und sie hat weder Alkohol getrunken noch geraucht.«
»Was, wenn sie ein Doppelleben führt? Wäre ja nicht das erste Mal, daß …«
»Nein, unmöglich. Ich traue es ihr einfach nicht zu. Obwohl …«
Sie überlegte, während sie sich über Fink beugte, seine Hände und seine Arme befühlte und das Kiefergelenk zu bewegen versuchte.
»Obwohl was?« fragte Hellmer.
»Es gäbe doch einiges, was zusammenpassen würde. Zum Beispiel, daß Petrol und Reich beide Psychologen waren. Natürlich hatte Petrol eine wesentlich umfangreichere Ausbildung, aber … Scheiße, ich hoffe, ich habe unrecht.«
»Wie lange, glaubst du, ist er schon tot?« fragte Hellmer.
»Die Leichenstarre setzt allmählich ein. Und er fühlt sich auch nicht mehr warm an. Ich vermute, so dreieinhalb bis vier Stunden.« Sie drehte Finks Kopf ein wenig zur Seite, sah die Einstichstelle, winkte Hellmer heran. »Hier«, sagte sie und deutete auf die Stelle, »genau wie bei Petrol. Auch in den Hals. Ich vermute sogar, es handelt sich um das gleiche Gift. Warten wir einfach ab, was unsere Leichenfledderer dazu zu sagen haben.«
Laura Fink traf noch vor den Beamten der Spurensicherung ein. Sie machte einen abgehetzten Eindruck, stürmte in das Zimmer, in dem ihr toter Vater lag. Sie blieb abrupt stehen, blickte auf ihn herunter, keine Regung war in ihrem Gesicht zu lesen.
»Ist meine Mutter schon informiert worden?« fragte sie, während sie sich Handschuhe überzog.
»Nein, ich wollte eigentlich, daß wir nachher gemeinsam zu ihr fahren.«
»Von mir aus. Darf ich?« fragte Laura Fink und deutete auf ihren Vater. »Ich muß ihn mir anschauen. Wollen Sie auch wissen, wie lange er tot ist?« fragte sie mit unbeweglicher Miene.
»Wenn’s geht, ja.«
»Dazu muß ich seine Temperatur messen.« Sie holte das Thermometer aus dem Arztkoffer und bat Hellmer, ihr zu helfen, den Toten zu entkleiden. Sie maß die Temperatur rektal, wartete zwei Minuten, bis das Thermometer leise piepte, zog es aus demAfter, las die Temperatur ab. »33,4 Grad«, murmelte sie. »Ich würde sagen, der Tod ist vor drei bis vier Stunden eingetreten. Plus minus eine halbe Stunde. Genau müssen das Ihre Mediziner klären. Ich werde auf dem Totenschein ›Todesursache unklar‹ ankreuzen, alles weitere überlasse ich Ihnen.«
»Ist das ein großer Schock für Sie?« fragte Durant, bewußt jede Reaktion der Angesprochenen beobachtend.
Sie zuckte kaum merklich die Schultern, antwortete, während sie den Totenschein ausfüllte, lakonisch: »Der Tod ist nie etwas Schönes.«
»Damit haben Sie meine Frage nicht beantwortet.«
»Nein, es ist kein großer Schock für mich. Und jetzt werden Sie mich gleich fragen, warum nicht, aber ich werde Ihnen keine Antwort darauf geben.«
»Haben Sie Ihren Vater gehaßt?«
»Halten Sie mich für die Mörderin?« fragte Laura Fink ironisch lächelnd zurück. »Nein, ich habe ihn nicht gehaßt. Aber ich habe ihn auch nicht geliebt. Er war ein Fremder für mich. Genau wie für Jürgen … So, wenn Sie mich nicht mehr brauchen …«
»Moment, wir wollten gemeinsam mit Ihnen zu Ihrer Mutter fahren. Wir müssen aber noch warten, bis die Spurensicherung da ist.«
Kaum hatte sie es ausgesprochen, kamen die Männer herein. Julia Durant erteilte kurz Instruktionen, sagte, sie würde jetzt mit Hellmer und Dr. Fink zur Witwe des Toten fahren.
Dienstag, 0.05 Uhr
Gabriele Fink saß im Wohnzimmer, die Beine eng aneinandergelegt, die Hände wie zum Gebet gefaltet, die stumpfen Augen auf die Eintretenden gerichtet.
»Hallo, Mutter«, sagte Laura und setzte sich zu ihr. »Wir sindeinfach reingekommen, ich hoffe, du bist mir nicht böse.« Sie legte einen Arm um ihre Mutter und
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