Letale Dosis
zwischen den Zimmern gab.
Im Prinzip hätte er mich für diese Reise gar nicht gebraucht, das habe ich aber erst dort gemerkt. Noch am gleichen Abend haben wir in einem Nobelrestaurant gegessen, und etwas an der Hotelbar getrunken …«
»Alkohol?« fragte Julia Durant zweifelnd, die sich noch gut daran erinnerte, daß Frau Rosenzweig gesagt hatte, Alkohol und Tabak seien in der Familie und für Kirchenmitglieder tabu.
»Ja, wir haben jeder zwei oder drei Martinis getrunken. Später hat er mich gefragt, ob wir in den Blauen Salon gehen wollen, dort würde eine Kapelle spielen und wir könnten tanzen. Ich wußte nicht genau, wie ich die Situation einschätzen sollte … Jedenfalls war es weit nach Mitternacht, als wir auf unsere Zimmer gingen. Er hat mich gebeten, noch ein Glas Wein mit ihm zu trinken, was ich eigentlich gar nicht wollte, aber er hat mich praktisch dazu gedrängt. Wir haben also Wein getrunken und mit einem Mal rückte er mit der Sprache raus. Ich sehe ihn noch vor mir sitzen, als wäre es gestern, wie er das Glas zwischen den Fingern hielt und einen fast kümmerlichen Eindruck machte. Er hat gesagt, er hätte mich schon die ganze Zeit, seit ich in der Firma arbeitete, beobachtet, und ihm wäre aufgefallen, daß ich ausgesprochen flexibel sei. Und daß die Chancen für mich sehr gutständen, auf der Karriereleiter sehr weit nach oben zu klettern.« Sie hielt inne, trank einen Schluck Tee, überlegte.
»Und dann hat er Ihnen ein Angebot gemacht?« fragte Julia Durant.
»Allerdings. Er hat auch gar nicht lange um den heißen Brei herumgeredet, er sagte, ich würde ihm gefallen, seine Ehe wäre ein einziger Trümmerhaufen, er hätte seit Monaten nicht mehr mit seiner Frau geschlafen und, und, und … Na ja, er wäre eben ein Mann, und er bräuchte ab und zu ein wenig Aufmerksamkeit. Es sollte auch nicht zu meinem Schaden sein.« Sie schüttelte den Kopf, fuhr fort: »Ich hatte von solchen Sachen bisher nur gehört oder gelesen, aber ich hätte nie für möglich gehalten, daß ich selbst eines Tages in eine solche Situation geraten könnte. Ich war auch etwas angetrunken, und wenn man zuviel getrunken hat, sieht die Welt ohnehin immer etwas schöner aus, also, um es kurz zu machen – ich habe mit ihm geschlafen.« Sie seufzte, lächelte dabei etwas versonnen, bevor sie fortfuhr: »Er war kein schlechter Liebhaber, weiß Gott nicht, er hatte eben Erfahrung. Die ganze Sache ging vier Jahre; vier Jahre, in denen wir regelmäßig sexuellen Kontakt hatten. Ein paarmal sogar im Büro, nachdem alle gegangen waren … Überhaupt liebte er es ab und zu an außergewöhnlichen Orten, wenn Sie verstehen«, sagte sie lächelnd, bevor ihr Gesicht wieder ernst wurde. »Während der vier Jahre hat er mich mit Geschenken überhäuft, Schmuck, Parfüm, Möbel, eine sündhaft teure Stereoanlage, er hat mir sogar ein Auto gekauft. Ich war sein Objekt der Begierde und er hat es sich etwas kosten lassen, dieses Objekt auch zu besitzen. Vor einem Jahr war mit einem Mal Schluß. Er hat gesagt, wir sollten die Sache beenden, hat aber keinen Grund angegeben. Was sollte ich machen? Er hatte den Anfang bestimmt und auch das Ende. Kurz darauf habe ich erfahren, daß er ein Verhältnis mit einer andern Kollegin angefangen hatte, ein junges Ding von gerade mal zwanzig Jahren, die im Schreibbüro sitzt. Wie esscheint, hat er, je älter er wurde, immer jüngeres Fleisch gebraucht. Nun, ich habe keine Szene gemacht und auch sonst den Mund gehalten, schließlich war ich zu keiner Zeit verliebt in ihn gewesen. Einmal hat er mir angeboten, meinen Arbeitsvertrag zu kündigen und mir eine stattliche Abfindung zu zahlen und mich bei einem befreundeten Geschäftspartner zu gleichen Konditionen unterzubringen. Ich habe ihn gefragt, warum, worauf er antwortete, daß er mich liebte und mir mit der andern nicht weh tun wolle, aber er könne nun mal nichts für seine Gefühle. Ich habe ihm gesagt, er bräuchte sich keine Gedanken zu machen, ich würde seinen Gefühlen nicht im Weg stehen. Deshalb bin ich noch immer bei der Firma. Und was ich gestern gesagt habe, daß er bisweilen unausstehlich war, das stimmt nur bedingt. Er war kein so übler Kerl, wie die andern ihn alle hinstellen, ich habe gestern nur ins gleiche Horn gestoßen, obwohl ich dazu gar nicht berechtigt war. Es tut mir leid. Ich glaube, Hans war ein gefühlsmäßig sehr zerrissener Mann, der einfach mit sich selber nicht klarkam. Und ja, ich bedaure seinen Tod. Er hat sich mir
Weitere Kostenlose Bücher