Letale Dosis
überhaupt kaum über sein Privatleben gesprochen, ich glaube, das meiste habe ich damals, ganz zu Beginn, in Berlin erfahren. Danach hat er sich in Schweigen gehüllt.«
»Nun, nicht nur Rosenzweig war Mitglied dieser Kirche, Schönau ist es auch.«
»Schönau?« fragte Claudia Neumann ungläubig und steckte sich eine weitere Zigarette an. »Dieser Dreckskerl soll ein Christ sein? Im Leben nicht!«
»Es ist aber so. Oder sagen wir besser, er gehört der Kirche an, ein Christ ist er sicher nicht, wenn es stimmt, was Sie sagen. In dieser Kirche gelten nämlich sehr hohe moralische Grundsätze, Ehebruch kommt gleich hinter Mord … Damit hat Rosenzweig aber auch ganz klar die Richtlinien der Kirche gebrochen.«
»Ich weiß nichts über diese Kirche und mit welchen Grundsätzen er in Konflikt stand. Ich weiß nur, wir hatten etwas miteinander, und das liegt jetzt schon über ein Jahr zurück. Alles andere interessiert mich nicht.«
Claudia Neumann trank ihren Tee aus und rauchte die Zigarette zu Ende. Sie holte ihr Portemonnaie heraus und zahlte. Gemeinsam verließen sie das Café. Auf der Straße reichte Claudia Neumann der Kommissarin die Hand und sagte: »Ich bin froh, daß ich das hinter mir habe. Danke.«
»Ich habe zu danken. Und sollte Ihnen noch irgend etwas einfallen, lassen Sie es mich wissen. Ach ja, ich wollte eigentlich noch mit in die Firma und Kastner und dieser jungen Dame – wie heißt sie gleich? – ein paar Fragen stellen.«
»Jessica Wagner. Kommen Sie doch einfach mit.«
»Meinen Sie nicht, daß es etwas auffällig ist, wenn Sie und ich zusammen …«
»Ich sagte doch schon, mir ist scheißegal, was jetzt passiert. Wenn ich meine Kündigung kriege …«, sie zuckte die Achseln und fuhr fort, »ich finde ganz schnell eine neue Stelle. Rosenzweigs persönliche Sekretärin gewesen zu sein, öffnet mir praktisch jede Tür. Gehen wir.«
Mittwoch, 10.05 Uhr
Als sie in den Aufzug stiegen, der sie in den dreiundzwanzigsten Stock bringen sollte, fragte Claudia Neumann: »Ich würde aber zu gern noch eine Frage von Ihnen beantwortet haben – wie ist er gestorben?«
Julia Durant überlegte, sah Claudia Neumann einen Moment mit prüfendem Blick an. Schließlich sagte sie: »Ich darf es Ihnen eigentlich nicht sagen, aber … Sie müssen mir versprechen, mit keinem Menschen darüber zu reden. Schließlich handelt es sich hier um einen Mordfall.«
»Versprochen. Ich gehöre nicht zu denen, die tratschen und Gerüchte in die Welt setzen.«
»Ihnen war doch sicher bekannt, daß Rosenzweig Diabetiker war, oder?«
»Ja.«
»Nun, er wollte sich am Montagabend eine Insulinspritze setzen, hat sich aber statt des Insulins Schlangengift gespritzt. Sein Todeskampf hat zwar nicht lange gedauert, aber sein Sterben war doch sehr qualvoll.«
»Mein Gott, Schlangengift! Wer macht denn so was?«
»Offensichtlich jemand, der Rosenzweig nicht sonderlich wohl gesonnen war. Und diesen Jemand gilt es zu finden.«
»Ich hoffe inständig, Sie kriegen diesen verfluchten Schweinehund. Niemand hat einen solchen Tod verdient.«
Der Aufzug hielt mit einem sanften, kaum merklichen Ruck, die Tür öffnete sich beinahe lautlos. Claudia Neumann steckte die Chipkarte in den dafür vorgesehenen Schlitz, worauf die Tür leise summte. Bevor sie die Tür aufmachte, sagte sie flüsternd: »Wo Kastner sitzt, wissen Sie ja bereits. Jessica Wagner arbeitet im letzten Büro rechts. Auf Wiedersehen und viel Erfolg.«
Julia Durant wollte erst mit Kastner sprechen. Sie klopfte an, ein deutliches »Herein« kam von drinnen. Sie trat in das Zimmer, indem wie gestern der Geruch von Zigarettenrauch und Alkohol in der Luft lag. Kastner hatte leicht gerötete Augen, er rauchte eine filterlose Rothändle. Auf seinem Computer lief der Bildschirmschoner.
»Guten Morgen, Herr Kastner«, sagte die Kommissarin und nahm unaufgefordert auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch Platz. Sie holte ebenfalls eine Zigarette aus ihrer Tasche. »Sie werden sich wundern, daß ich noch einmal hier auftauche, aber ich habe noch ein paar Fragen an Sie.«
»Bitte, schießen Sie los«, sagte Kastner, der Julia Durant durch den Rauch hindurch musterte. »Ich habe nichts zu verbergen.«
»Gut, um so einfacher wird es für mich. Sie haben mir gestern erzählt, daß Rosenzweig Ihnen wegen eines Disputs einmal fristlos gekündigt hätte, diese Kündigung aber schon am nächsten Tag wieder zurückgenommen hat. Dürfte ich den Grund für diesen für Rosenzweig
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