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Letzte Ausfahrt Neckartal

Letzte Ausfahrt Neckartal

Titel: Letzte Ausfahrt Neckartal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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Vor Aufregung glänzten rötliche Flecken auf ihren Wangen, und ihre kurz geschnittenen blonden Haare standen zerzaust ab. Sie hatte die Fäuste in ihre mächtigen Hüften gestemmt und sah in ihrem trachtenartigen Kleid mit weißer Rüschenbluse aus wie die grantelnde Hauswirtin in einem Schwarzwälder Heimatfilm.
    »Das BKA ist da«, rief sie ihm schon von Weitem entgegen und hielt sich im nächsten Moment erschrocken eine Hand vor den Mund.
    »Morgen, Frau Schober«, entgegnete Treidler und versuchte sein Sodbrennen unter Kontrolle zu halten. Wie üblich hatte er den freien Tag gestern vollkommen versiebt. Zwar hatte er lange geschlafen, ziemlich lange sogar, aber danach war nichts mehr aus seinen Vorsätzen geworden. Weder zum Spazierengehen noch zum Schwimmen hatte er sich aufraffen können und schon am frühen Nachmittag das erste Bier vor dem Fernseher geleert. Anschließend war der Wein gekommen, und zur Steigerung hatte abends die Wodka-Flasche auf dem Wohnzimmertisch gestanden. Gegessen hatte er lediglich eine Tüte Salzbrezeln.
    »Guten Morgen, Herr Treidler. Wo bleiben Sie denn?« Anita Schobers Stimme klang entrüstet. »Bei uns ist der Teufel los.«
    »Soso, der Teufel«, wiederholte er unbeeindruckt. »Ich dachte das BKA ?«
    »Ja, das auch. Drei Mann hoch sitzen sie im kleinen Besprechungszimmer. Winkler, Borchert und die Frau Melchior sind schon drüben. Ich glaube, da ist was ganz Wichtiges im Gange.« Sie senkte ihre Stimme. »Und wissen Sie was?«
    »Nein«, sagte Treidler ebenso leise. Nicht dass Schober irgendein Interesse an seiner Antwort gehabt hätte.
    »Wir kriegen einen VB «, flüsterte sie.
    »Was zum Teufel ist ein VB ?«, fragte Treidler.
    »Verbindungsbeamter«, sagte Anita Schober in einem Tonfall, als ob sie ein Geheimnis preisgeben würde. Mit einem Blick über die Schulter fügte sie leise hinzu: »Der benimmt sich wie ein Pascha. Er heißt auch so ähnlich. Ich musste ihm schon Kaffee und eine Butterbrezel bringen. Trotzdem wissen Winkler und Borchert nichts Besseres, als ihm den Bauch zu pinseln.«
    Treidler musste lachen. Er konnte sich die beiden Blender in ihren Anzügen bildhaft vorstellen: Winkler der Schäbige, in seiner abgetragenen bräunlichen Montur, und Borchert, ganz in Schale geworfen mit blütenweißem Hemd und Krawattennadel.
    »Oh, ich hab jetzt hoffentlich nichts Falsches gesagt?«, fragte Schober erschrocken.
    In neun von zehn Fällen hätte Treidler wahrheitsgemäß mit einem »Doch« antworten müssen. Diesmal jedoch fand er ihre Formulierung passend. »Nein, bestimmt nicht.« Er beugte sich etwas nach vorne. »Wie heißt er denn?«
    »Wer?«, flüsterte Schober zurück.
    »Der VB .«
    »Paschl, Rüdiger Paschl. Aber Sie sollten sich beeilen. Die haben schon angefangen. Und der Graue ist auch gerade rein.«
    Niemand saß, alle standen. Obwohl Treidler drei der anwesenden Personen im Besprechungsraum fremd waren, erkannte er den Verbindungsbeamten des BKA sofort. Wie ein Holzpflock stand der glatzköpfige Rüdiger Paschl vor der zugepflasterten Magnettafel, die fast völlig von seinem Schatten verdeckt wurde. Er sprach mit einer tiefen Stimme, die gut und gerne als Synchronstimme für Clint Eastwood durchgehen würde. Lediglich das »R« rollte er viel zu stark, was ihn sofort als Angehörigen des bayrischen Volksstammes entlarvte und eine Karriere bei der Vertonung von Hollywood-Blockbustern kategorisch ausschloss.
    Als Paschl Treidler entdeckte, hielt er inne und warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. »Sind nun alle da? Kann ich mit meinem Briefing fortfahren?«
    Er hörte sich an, als ob Treidler ihn nicht nur unterbrochen, sondern um den Lottogewinn der nächsten Woche gebracht hatte. Treidler stellte sich neben Melchior, die ihm kurz zunickte.
    Trotz seiner eher kleinen Statur ließ Paschl keinen Zweifel aufkommen, dass er es durch seine körperliche Fitness mit jedem aufnehmen konnte. Die Muskelpakete, die sich unter dem hautengen schwarzen Rollkragenpulli abzeichneten, zeigten in bemerkenswerter Weise, wie man durch tägliche Schinderei im Fitnessstudio zu einem gestählten Körper kam. Vermutlich hatte er kein einziges Gramm Fett unter der Haut. Der Rest seines Adoniskörpers steckte in einer passgenauen hellgrauen Anzughose, während das zugehörige Jackett lässig auf der rechten Schulter ruhte. Treidler ertappte sich dabei, wie er auf seinen eigenen Bauch schielte, der sich unübersehbar unter dem dunkelblauen Poloshirt abzeichnete. Er zog ihn ein

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