Letzte Ausfahrt Neckartal
großen Knall, ohn Scheiß«, klang es abermals aus den Lautsprechern. Melchior stoppte die Aufnahme und schaute ihn erwartungsvoll an.
»Verflucht, das kann ich nicht glauben«, entfuhr es Treidler zeitgleich mit dem Ende der Aufzeichnung. Die blecherne Stimme – er kannte sie.
Mehmet … Hieß der junge Türke, den er Mitte letzten Jahres nach einer Messerstecherei festgenommen hatte, tatsächlich so? Die Frage sollte sich schnell klären lassen. Treidler drehte sich auf dem Absatz um und ließ die verdutzte Melchior am Schreibtisch zurück. »Treidler«, hörte er sie rufen und ignorierte es. Auf endlose Erklärungen wollte er sich im Augenblick nicht einlassen.
Noch vor dem Sekretariat rief er Anita Schober zu: »Messerstecherei im Stadtgraben, letzten Sommer. Können Sie sich daran erinnern?«
Schober schrak zusammen. Ihre Erstarrung ging rasch in ein Stirnrunzeln über, und er konnte förmlich sehen, wie es in ihrem Kopf zu arbeiten begann. »Nur vage«, sagte sie leise. Offenbar war sie zu dem Schluss gekommen, dass sie zumindest schon von der Messerstecherei gehört hatte.
»Können Sie mir die Vernehmungsprotokolle besorgen? Ich brauche Namen und Anschrift. Wir hatten damals einen Türken festgenommen. Mehmet vielleicht – oder so ähnlich.«
»Die Vernehmungsprotokolle sind unten im Archiv. Die Namen und Anschriften von festgenommenen Personen stehen im Computer.« Anita Schober lächelte ihn vorsichtig an.
»Ja, aber nicht in meinem«, gab Treidler zurück.
»Wirklich? Soll ich einen Techniker rufen?« Sie griff nach dem Telefonhörer und hielt dann inne. Offenbar bemerkte sie erst jetzt, dass Treidler sie mit seinem Einwand auf den Arm nehmen wollte.
»Nein, nicht nötig. Sie sind garantiert schneller. Und ich brauche nur Namen und Anschrift«, sagte er.
Obwohl er nur eine Tatsache ausgesprochen hatte, wirkte es auf sie offensichtlich wie ein Kompliment. Anita Schober strahlte und bearbeitete sofort ihre Computertastatur, als ob sie an einem Schnellschreibwettbewerb teilnehmen würde. »Wann, sagten Sie, soll das gewesen sein? Letztes Jahr, im Sommer? War es im Juli oder August oder doch eher September?«
»Juli«, sagte Treidler.
Ein paar Dutzend Tastanschläge später schüttelte sie den Kopf. »Nein – da wurde niemand mit einem türkischen Namen wegen Körperverletzung festgenommen.«
»Dann eben August.«
Erneut klapperte die Tastatur.
»Neunzehnter August. Gefährliche Körperverletzung. Mehmet Bayram, Dammstraße vierzehn, hier in Rottweil«, sagte sie und sah ihn mit einem seligen Gesichtsausdruck an.
»Danke, Frau Schober. Sie sind großartig.« Treidler verschwand durch die Tür, bevor sie etwas darauf erwidern konnte.
Auf dem Weg zu seinem Auto überschlug er die Wahrscheinlichkeit, dass er den richtigen Mehmet gefunden hatte. Wie viele Mehmets gab es wohl in der Umgebung von Rottweil, die jedem zweiten Satz dieses eigentümliche »ohn Scheiß« hinterherschoben? Bestimmt nur diesen. Treidlers Urteil stand fest: Die Ermittlungen des BKA führten in die vollkommen falsche Richtung. Nichts mit islamistischem Terrorismus in Rottweil. Auch keine Terrorzelle, die mit einem der ihrigen auf der Rastanlage Neckartal abgerechnet hatte. Aber waren Paschl und seine Truppe tatsächlich so oberflächlich bei ihren Ermittlungen? Er konnte es fast nicht glauben.
Der morgendliche Berufsverkehr hatte längst nachgelassen, und so benötigte Treidler keine fünf Minuten mit seinem Mercedes vom Gebäude der Polizeidirektion in die Dammstraße. Schon einige Häuser vor dem Gebäude mit der Nummer vierzehn wusste er, dass er Mehmet Bayram gefunden hatte. Am Fahrzeugrand stand ein silberfarbener BMW älteren Baujahres mit geöffneter Motorhaube. Ein eher kleiner, jüngerer Mann mit langen dunklen Haaren und einer schwarz-weiß gestreiften Schirmmütze des Istanbuler Fußballvereines Beşiktaş sah in den Motorraum. Er trug eine Jeans, die ihm in den Kniekehlen hing, und einen hellen Kapuzenpulli. Als Treidler die Geschwindigkeit verlangsamte, um den Parkplatz vor ihm anzusteuern, schaute er auf.
Der gelangweilte Gesichtsausdruck des jungen Türken veränderte sich schlagartig. Er riss die Augen auf und rannte los. Treidler fluchte. Er drückte das Gaspedal durch und lenkte den Mercedes an der nächsten freien Stelle auf den Gehweg, um Mehmet den Weg abzuschneiden. Doch der zeigte sich unbeeindruckt von dem Fahrmanöver. In artistischer Manier warf er sich über die Motorhaube und rutschte auf
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