Letzte Ausfahrt Neckartal

Titel: Letzte Ausfahrt Neckartal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer

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Entfernung wurde ein einziger Schuss mitten in die Stirn abgegeben. Es gab jedoch keine Austrittswunde. Das Projektil steckte noch im Frontallappen des Großhirns. Es war aufgepilzt und führte auf der Stelle zum Tod. Todeszeitpunkt etwa ein Uhr morgens – plus minus eine Stunde.«
    »Aufgepilzt?« Treidler riss den Blick von der Konstruktion auf seinem Computermonitor los.
    Melchior nickte. »So steht es hier.«
    »Wie ein Teilmantelgeschoss?« Derartige Projektile wurden von den Sicherheitsbehörden vieler Staaten zur Verbrechensbekämpfung eingesetzt – auch von Deutschland. Diese speziellen Deformationsgeschosse vergrößerten nach dem Auftreffen ihren Querschnitt. Tatsächlich wirkten sie wie Dumdumgeschosse, besaßen aber statt abgefeilten Spitzen Sollbruchstellen oder Hohlräume, um das Aufpilzen im Ziel zu erreichen. Je nach Auftreffort kam es zu keinem Durchschuss. Und falls doch, flogen die ausgetretenen Geschosse mit erheblich weniger Energie weiter. Der hauptsächliche Grund für die Verwendung lag an deren Eigenschaft, den Getroffenen augenblicklich zu töten.
    »Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich es je mit einem solchen Geschoss zu tun hatte«, sagte Treidler und erhob sich von seinem Stuhl. »Gibt’s eigentlich was Neues von den polnischen Behörden?«
    Melchior schüttelte den Kopf und sah ihn prüfend an. »Wohin gehen Sie?«
    » KTU .«
    »Da komm ich mit.«
    Der Mercedes-Stern im Plastikköcher hing schon wieder schief.
    Treidler betrat die Räume der Kriminaltechnik mit einem flauen Gefühl im Magen. Die Einrichtung stand noch immer unter dem Einfluss ihres ehemaligen Leiters. Sei es durch die rechtwinklige Anordnung der Tische und Instrumente, die Computerfachbücher in den Regalen oder die Beschriftung der Schubladen mit Prägebuchstaben. Eine Handvoll Fotoleinwände mit Bergpanoramen war das Einzige, das nicht auf ihn schließen ließ.
    Sie fanden Sepp Dorfler stehend an einem der Tische. Er trug einen grauen Arbeitsmantel und hatte eine dieser überdimensionalen weißen Brillen auf, die zwar das Auge schützten, aber ansonsten an Hässlichkeit kaum zu überbieten waren. In einer Hand hielt er einen flammenspeienden Bunsenbrenner, um das winzige Etwas im Reagenzglas in der anderen zu erhitzen. Als er Treidler und Melchior bemerkte, stellte er Reagenzglas und Bunsenbrenner ab und schob sich die Schutzbrille auf seine grau umsäumte Halbglatze.
    »Gleich zu zweit?«, fragte Dorfler statt einer förmlichen Begrüßung. Das Lächeln verschwand fast unter seinem imposanten Schnauzbart. Sein sonnengebräuntes Gesicht und die Art, wie er sich bewegte, ließen ihn jünger erscheinen. Trotz seiner rundlichen Statur wirkte er leichtfüßig und dynamisch. In seiner Freizeit unternahm er ausgedehnte Bergtouren und hatte die Alpen schon ein halbes Dutzend Mal überquert. Im Herbst plante er die Besteigung des Kilimandscharos.
    »Klar«, entgegnete Treidler. »Wären wir vom BKA , würden wir zu viert eintrudeln.«
    » BKA – ja«, Dorfler nickte. »Der Paschl war vorhin auch schon hier.«
    »Was wollte er?«
    »Ich denke, das Gleiche wie Sie.« Dorfler verzog erneut das Gesicht zu einem breiten Lächeln.
    »Dann lassen Sie mal hören«, sagte Treidler. »Zuallererst interessiert uns das Projektil. Das ist wohl nichts Gewöhnliches, oder?«
    Dorfler wurde ernst. »Eine .22 Glaser Safety Slug – ein teuflisches Geschoss. Es garantiert durch Deformierung und Zersplitterung im Gehirn binnen Sekundenbruchteilen den sicheren Tod. Die Sky Marshals auf den amerikanischen Fluglinien benutzen solche Munition, damit sie die Bordwände des Flugzeugs nicht beschädigen.«
    »Wo kann man so etwas kaufen?«, fragte Melchior.
    »In keinem Laden, den ich kenne. Aber mit den richtigen Verbindungen …« Er zuckte mit den Schultern und blickte sie vielsagend an.
    »Und was ist mit der Tatwaffe?«, fragte Treidler. »Können Sie uns auch dazu etwas sagen?«
    Dorfler kratzte sich ein paarmal unter der Brille auf seiner Stirn und seufzte. »Bei diesem winzigen, verklumpten Metallkügelchen kann ich im Prinzip nur mit der Hülse die Tatwaffe bestimmen – oder raten.«
    »Und was raten Sie?«
    »Eine Smith & Wesson 2206, vermutlich mit verlängertem Lauf und Schalldämpfer«, entgegnete er blitzschnell. Treidler nahm ihm nicht ab, dass er das soeben erst erraten hatte. »Das ist eine Kleinkaliberwaffe, wie Sie am Tatort schon richtig vermutet haben.«
    Treidler nickte.
    »Durch das kleine Kaliber ist