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Letzte Ausfahrt Neckartal

Letzte Ausfahrt Neckartal

Titel: Letzte Ausfahrt Neckartal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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kommentierte jede ihrer Aussagen nur noch mit einem »Tatsächlich«.
    Mit dem vorwurfsvollen Blick des Nachtportiers im Rücken erreichten sie den Aufzug. Trotz ihrer kleinen Statur benötigte Treidler beide Arme, um Melchior zu stützen. Inzwischen trug er sie mehr, als dass sie aus eigener Kraft vorwärtskam. In der Kabine fehlte ihm schließlich eine freie Hand, um den Aufzug in Gang zu setzen. Kurzerhand lehnte er Melchior an die rückwärtige Wand. Sie murmelte etwas Unverständliches. Treidler drückte die Taste für die zweite Etage. Doch ehe er sich Melchior wieder zugewandt hatte, war sie an der Kabinenwand heruntergerutscht. Gerade noch rechtzeitig, bevor sie auf dem Boden landete, konnte er ihren Körper auffangen.
    Der Weg vom Aufzug zum Zimmer stellte ihn vor eine ungleich größere Herausforderung. Melchior weigerte sich zu gehen und schwafelte wirres Zeug. Nur mit Mühe, gutem Zureden und längeren Pausen schaffte er es bis vor ihre Zimmertür.
    »Wo ist der Schlüssel?«, fragte er leise.
    »Welcher Schlüssel?«, entgegnete sie lauthals.
    Treidler vermutete, dass spätestens jetzt alle Hotelgäste auf ihrem Stock senkrecht in ihren Betten standen. »Der Schlüssel zu Ihrer Zimmertür«, flüsterte er.
    »Der Schlüssel zu Ihrer Zimmertür.« Sie lachte.
    »Genau – wo ist er?«
    »Er war in meiner Hosentasche«, raunte Melchior ihm ins Ohr, als ob sie einen Geheimcode verraten würde.
    »Und wo ist er jetzt?«
    »Hier«, kicherte sie und schwenkte das schwere Metallschild mit dem Schlüssel vor seinem Gesicht hin und her. Er wollte danach greifen, doch sie zog ihre Hand weg.
    Treidler hob die Augenbrauen. »Am besten, Sie schließen einfach selbst auf.«
    »Einfach selbst auf … klar …« Sie versuchte das Schlüsselloch zu treffen. »Halt … halten Sie mal fest …«
    Treidler ergriff ihre Hand, um damit den Schlüssel ins Schloss zu führen.
    »Sie … Sie sollen nicht meine Hand festhalten, so … sondern das Schlüsselloch …«
    Treidler nahm ihr kurzerhand den Schlüssel ab und schloss die Tür auf.
    »Na, geht doch.« Sie drückte gegen das Türblatt. »Dieses verdammte Loch hat sich die ganze Zeit über hin und her bewegt.«
    Die Tür schwang nach innen auf, Melchior kam aus dem Gleichgewicht und drohte vornüberzustürzen. Gerade noch rechtzeitig konnte Treidler sie mit dem Arm auffangen.
    Er konnte sich täuschen, aber ihm kam es so vor, als ob sie es mit einem Mal nicht mehr eilig hatte, sich aus seinem Arm zu befreien. Sie war ihm so nah, dass er mehr den Geruch ihrer Haut als die Alkoholfahne wahrnahm. Melchior drehte sich zu ihm und suchte seinen Blick. »Danke …«
    »Für was?«
    »Fürs Festhalten.« Sie strahlte ihn aus ihren dunklen Augen an.
    Treidler nickte und versuchte seinen Arm zu lösen. Doch der Gleichgewichtssinn verließ Melchior erneut. Als er seinen Griff weiter lockerte, begann sie zu wanken. Kurzerhand hob er sie hoch. Er ging ein paar Schritte und ließ sie behutsam auf das Bett sinken. Sofort schloss sie die Augen, breitete die Arme aus und murmelte etwas Unverständliches. Aus dem Gemurmel formte sich eine Melodie, und die ersten Verse eines russischen Liedes kamen über ihre Lippen.
    Treidler konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Melchior war derart betrunken, dass sie mit ausgebreiteten Armen im Bett lag, als ob sie die Welt umarmen wollte, und eine russische Volksweise trällerte.
    Treidler ging vor dem Bett in die Hocke und zog ihr vorsichtig die Schuhe aus. Als ob er damit einen Ausschalter betätigt hatte, verstummte sie.
    »Ich denke, ich gehe jetzt.« Treidler kam wieder hoch und musterte Melchior. Langsam senkten sich ihre Augenlider. Sie schien einzuschlafen. »Tut mir leid, aber es ist besser, wenn Sie nicht in diesen Klamotten schlafen.« Vorsichtig zog er ihr Jacke und Pullover aus. Widerstandslos ließ sie es über sich ergehen. Treidler öffnete den Gürtel, und nach einem Moment des Zögerns knöpfte er die Jeans auf. Er zog ihr die Hose von den Beinen und musste sich dabei zwingen, nicht allzu genau hinzusehen. Schnell bedeckte er ihren Körper mit der Zudecke.
    »Dableiben«, murmelte sie.
    Treidler stockte. »Vielleicht irgendwann mal«, flüsterte er. Schon Augenblicke später hörte er ihr leises Schnarchen. Sie war eingeschlafen.

15
    Sonntag, 16.   April
    Treidler nahm das zweite Omelett mit Schinken und Paprika vom asiatischen Koch am Büfett entgegen. Vermutlich würde er nach ein paar Tagen Aufenthalt im Hotel Paradies ein

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