Letzte Ausfahrt Neckartal
riss ihm jemand die Hände auf den Rücken. Handschellen klickten, und als Aufforderung, voranzugehen, stieß sie ihm den Ellenbogen in die Rippen. Auch Melchior ließ sich abführen, allerdings nicht ohne wilde Verwünschungen in Richtung ihres früheren Kollegen auszustoßen.
»Verflucht, was soll der Scheiß?«, rief Treidler aus und warf Sanchez einen verständnislosen Blick zu. »Wir haben Besseres zu tun, als Sie auf die Wache zu begleiten.«
Der zuckte mit den Schultern. »Bedanken Sie sich bei Ihrer Kollegin.«
Kaum zehn Minuten später fuhren Sanchez’ Mitarbeiter mit Treidler und Melchior auf dem Rücksitz in den Innenhof des neubarocken Putzbaus in der Eberswalder Straße. Sanchez selbst folgte in einem schwarzen Audi A4 mit eingeschaltetem Signallicht.
Das viergeschossige Direktionsgebäude der Berliner Polizei prägte ein ornamentiertes Sandsteinportal. Ein kleinerer, begehbarer Rundturm überragte das Mansardendach und zeugte von der Vergangenheit des frisch renovierten Gebäudes als Fernsprechamt. Direkt gegenüber lag der Jahn-Sportpark, dessen Gelände die geschlossenen Fassaden der Nachbarbauten unterbrach.
Der blonde Lockenkopf, der noch immer keine Notwendigkeit sah, seine Sonnenbrille abzusetzen, brachte Treidler und Melchior in ein Vernehmungszimmer. Wortlos nahm er ihnen die Handschellen ab, verließ den Raum und schloss die Tür.
Der quadratische Raum war klein, vielleicht fünf auf fünf Meter. Es gab kein Fenster und offensichtlich auch keine Entlüftungsanlage. Der Geruch von altem Schweiß und ungewaschenen Körpern drang Treidler in die Nase. Außer einem Tisch mit vier Plastikstühlen gab es keinerlei Möblierung. Eine der Röhren des Neonlichts an der Decke flackerte. Boden und Wände schimmerten in verschiedenen Grüntönen. Lediglich auf einer Wandseite unterbrach ein Spiegel die triste Bemalung.
»Das wird er eine Weile auskosten.« Melchior zog ein grimmiges Gesicht. Sie trat mit dem Fuß gegen das nächstgelegene Stuhlbein, und der Stuhl landete krachend in einer Ecke.
»Vielleicht hätten Sie seine Schwanzgröße nicht erwähnen sollen.« Treidler setzte sich auf einen der anderen Stühle. Er legte die Beine auf den Tisch und rutschte so weit nach vorne, bis er eine halbwegs bequeme Position erreicht hatte.
»Dieser eingebildete Macho«, entgegnete sie. »Jetzt beobachtet er uns von drüben und amüsiert sich köstlich. Ich weiß es ganz genau.« Sie trat vor den Spiegel und schlug ein paarmal mit der flachen Hand auf die Scheibe.
»Melchior, hören Sie auf. Das bringt doch nichts.«
»Du blöder Sack«, schrie sie auf den Spiegel ein. »Wenn du uns nicht sofort gehen lässt, gibt es von mir eine Dienstaufsichtsbeschwerde an den Hals, dass du deine Pension abschreiben kannst.« Noch einmal knallte sie mit der Faust auf den Spiegel, drehte sich dann weg und begann im Zimmer auf und ab zu laufen.
»Setzen Sie sich endlich«, sagte Treidler. »Sie machen mich ganz verrückt mit diesem blöden Herumgelaufe.«
Sie kniff die Augenbrauen zusammen und musterte den Stuhl neben ihm. Schließlich setzte sie sich hin. »Ich bin schon Dutzende Male hier drin gewesen. Oft auch auf der anderen Seite des Spiegels. Aber nie im Leben hätte ich mir träumen lassen, dass ich unter diesen Umständen hier sitze.«
Melchior sollte recht behalten. Es dauerte weit länger als eine halbe Stunde, bis Sanchez endlich den Raum betrat.
»Und habt ihr euch gut unterhalten?«, fragte er in einem launigen Tonfall und präsentierte seine weißen Zähne.
»Was ist?«, fuhr ihn Melchior sofort an. »Wie lange willst du uns festhalten?«
»So lange, bis ich Antworten erhalte«, erwiderte er. »Also, Carina, in welchem Verhältnis stehst du zu Horst Stankowitz?«
Melchior senkte den Kopf. »Ich bin bei ihm aufgewachsen.«
»Bien.« Sanchez nickte langsam. »Und warum waren du und dein Kollege heute in seiner Wohnung?«
»Wir haben ihn besucht, weil ich dachte, dass er zur Lösung unseres Falles beitragen kann.« Melchior erzählte von dem Fall des Toten auf der Autobahnraststätte und dem Virus. Über den USB -Stick in ihrer Hosentasche und Stankowitz’ Nachforschungen zum Verbreitungsweg des Virus verlor sie kein Wort.
Treidler ließ Melchior reden. Trotz des Privatkrieges, den sie mit Sanchez angezettelt hatte, schien sie jetzt die richtigen Worte zu finden. Nachdem sie geendet hatte, schwieg Sanchez und massierte sich mit der Hand den Nacken. Er schien zu überlegen, ob er ihren
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