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Letzte Ausfahrt Neckartal

Letzte Ausfahrt Neckartal

Titel: Letzte Ausfahrt Neckartal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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öffnete Edgar seine Augen. Für einen kurzen Moment trat ein Lächeln auf sein Gesicht, er schien Treidler zu erkennen und bedeutete ihm, näher zu kommen. Treidler beugte sich nach vorne und hielt das Ohr direkt vor Edgars Mund.
    Er röchelte, und unter größter Anstrengung gelang es ihm, zwei Worte zu formen: »Ab…hauen … schnell.«
    Die Menge um ihn geriet in Bewegung, Unruhe kam auf. Dann hörte er Melchiors Schrei, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Knall. Splitter trafen sein Gesicht wie Fausthiebe. Treidler zog den Kopf ein. Wenige Zentimeter neben seinem rechten Knie klaffte im Asphalt ein faustgroßes Loch. Wie ein Dampfhammer hatte die Kugel den Gehweg aufgerissen. Instinktiv ließ er sich auf die andere Seite fallen. Im gleichen Augenblick knallte ein zweiter Schuss. Er rollte zur Seite, prallte mit einem der Bauarbeiter zusammen. Der durchdringende Knall dröhnte in seinen Ohren nach.
    Der Schütze konnte nicht weit entfernt sein. Vermutlich befand er sich unter den Schaulustigen. Mit einer Drehung kam Treidler auf die Füße und duckte sich sogleich wieder.
    Schreiend stürmten die Menschen auseinander, rannten sich gegenseitig um, traten oder stolperten übereinander und fielen erneut hin. Alle wollten so schnell wie möglich den Ort des Schreckens verlassen. In diesem Chaos hatte er kaum eine Chance, den Schützen ausfindig zu machen. Treidler drehte sich nach allen Seiten um, drängte sich in die Menge, um den Tatort überblicken zu können. Wo war Melchior? Eine Frau hieb ihm ihren vollen Einkaufsbeutel ans Schienbein, rannte weiter. Er nutzte die entstehende Lücke, um aus dem Pulk herauszukommen. Zwei Schritte weiter stürzte ihm ein breiter Teenager in den Weg, und Treidler konnte nicht weiter, konnte nur über die Köpfe starren und Ausschau halten. Da spürte er den Luftzug hinter sich und erstarrte. Zu spät! Der kalte Stahl eines Pistolenlaufs bohrte sich in seinen Nacken.
    »Geben Sie mir die rote Mappe, oder ich drücke ab.« Der Tonfall der gedämpften Stimme ließ keinen Zweifel am Ernst der Drohung aufkommen.
    Treidler tat, was jeder erfahrene Kriminalbeamte in seiner Situation tun würde: Er hob so langsam wie möglich die Hände. Zeit zu gewinnen, um die Lage einzuschätzen, das hatte jetzt oberste Priorität. Doch bevor er die Arme ganz oben hatte, vernahm er einen dumpfen Schlag. Es folgte ein Ächzen, das sich anhörte, als ob jemandem die Luft aus den Lungen gepresst wurde. Im nächsten Moment drückte ihn ein schwerer Körper Richtung Boden. Er wich zur Seite aus, landete hart auf den Knien. Über sich erblickte er Melchior. Eine Hand hatte sie zur Faust geballt, mit der anderen hielt sie die zusammengerollte Aktenmappe hoch. Sie zielte auf einen blonden Mann, der vor ihr auf allen vieren auf dem Gehweg kauerte. Er trug eine Motorradjacke mit weißen Streifen an den Ärmeln und versuchte sich aufzurappeln. Seine rechte Faust umklammerte eine Browning Halbautomatik. Mit dem Gesicht zum Boden und offenbar noch immer etwas benommen, schwenkte er die Waffe ziellos in der Gegend umher. Dann drückte er ab.
    Das Geschoss prallte auf die Hauswand und heulte als Querschläger davon. Treidler blickte sich um, niemand schien getroffen. Doch es war nur eine Frage der Zeit. Der Mann in der Motorradjacke stand schon halb, er hielt die Waffe auf die Menge gerichtet. Der nächste Schuss würde einen Menschen treffen. Und Treidler konnte nichts dagegen tun. Seine Dienstwaffe lag im Tresor von Petersens Büro.
    »Laufen Sie!« Schon stürmte Melchior los und hielt dabei die Aktenmappe wie ein Staffelläufer seinen Stab.
    Treidler kam hoch, sah, wie sich die Mündung der Pistole auf ihn zubewegte, und lief los. Ein Schuss knallte, doch Treidler war bereits einige Meter entfernt. Auch diese Kugel verfehlte ihr Ziel.
    Melchior sprintete vor ihm auf die Hochbrücke in Richtung Innenstadt. Sie hatte bereits einen deutlichen Vorsprung. Treidler folgte ihr, wollte sie nicht aus den Augen verlieren. Der blonde Schütze hatte sicher inzwischen die Verfolgung aufgenommen. Und auf dieser bolzengeraden Brücke ohne Deckung gaben sie beide ein hervorragendes Ziel ab.
    Nach der Brücke, die engen, verwinkelten Gassen – dort würde er Deckung finden.
    »Rechts runter!«, schrie Treidler. Wahrscheinlich konnte sie ihn in dem Chaos nicht einmal hören.
    Einige Augenblicke später sprintete Melchior nach rechts über die Straße. Ein wildes Hupkonzert erklang. Direkt nach dem mannshohen Bauzaun, der

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