Letzte Ausfahrt Ostfriesland
Lage hineingesteuert hatte.
Es war mehr die Angst, ihr könnte etwas widerfahren sein, mit dem sie alleine nicht fertigwerden würde, die mein Inneres zerwühlte und meine Fantasie übermäßig strapazierte.
Skrupel in Bezug auf meine Schule empfand ich keine. Meine Abiturienten konnten ohne mich feiern, und die jüngeren Schüler warteten bereits abgeschlafft auf die Sommerferien. Nur mein Schulleiter musste auf seinen ruhigen Schlaf verzichten, denn seine Welt würde nicht mehr in Ordnung sein.
Mich beruhigte dieser Gedanke, denn wenn ich in wenigen Tagen nicht mit einer Rückmeldung bei ihm erscheinen würde, war er der Garant dafür, dass das Rätsel um einen verschwundenen Oberstudienrat von höchster Stelle her gelöst werden musste. Wie ich ihn kannte, würde er nicht lockerlassen, bis ein aufgeblähter Apparat die Suche nach mir aufnehmen würde.
Ich rauchte, trank den restlichen Tee, nahm Ingas Bild in die Hand und kämpfte gegen Tränen und ein aufkeimendes Selbstmitleid an.
Doch plötzlich hatte ich das Gefühl, mich nicht mehr allein in Werners Wohnung aufzuhalten.
Das Licht, das vom Balkon in das Zimmer fiel, verstärkte sich. Ich zuckte zusammen, als ich meinte, jemand habe mich berührt. Ist es Einbildung?, fragte ich mich und flüsterte: »Anke.« Ich begriff, dass meine verstorbene Frau um mich war, mir beistehen und mir Mut zusprechen wollte.
Ich tauchte ein in eine Wärme und verstand ihren Hinweis, alles zu tun, um mir den Weg zu meiner Tochter zu bahnen.
Waren es Sekunden oder Minuten?
Ich wusste es nicht zu sagen, als mein Freund die Wohnung betrat. Er legte mein Reisegepäck ab.
»Die Hotelbesitzerin wollte zuerst nicht mitspielen«, sagte Werner und warf sich in den Sessel, »doch dann telefonierte sie und hat mich gefragt, ob du einen Unfall gehabt hättest. Ich habe das bestätigt und ihr einen Schrieb mit Doktor Röskens unterschrieben.«
»Danke, Werner«, sagte ich und bemühte mich, das Gespräch auf frühere gemeinsame Erlebnisse zu lenken, die uns aufheiterten.
Er freute sich darüber, dass ich mich und meine Sorgen in der Gewalt hatte. Wir bedauerten, dass wir uns zu Hause so wenig sahen, nahmen uns vor, das später zu ändern.
Er schielte bereits auf das freie Wochenende, denn er liebte nichts mehr als seinen Garten vor dem Bungalow in Groenhusen, den er mit seiner Frau in ein blühendes Paradies verwandelt hatte. Selbst im Winter gediehen Kakteen und Ziersträucher unter den Händen der liebevollen Pflege.
Seine Einladung, mir ein Essen im Balkanhaus zu spendieren, schlug ich dankend aus. Ich wollte keinen unnötigen Schritt mehr aus seinem Apartment in diese Stadt machen, die für mich zur Falle geworden war. Noch konnte ich meine Verstrickung in eine unerklärliche Geschichte nicht übersehen und musste davon ausgehen, dass sich die Weiterführung jederzeit anbahnen konnte.
Und tatsächlich unterbrach etwas später das schrille Klingeln der Hausglocke unser Gespräch.
Werner hastete an die Tür. Er war bleich. Dieses Rätselraten hatte auch seinen Nerven zugesetzt.
Ich vernahm, dass er mit jemandem sprach.
Verwirrt erschien er und setzte eine Reisetasche aus Leder auf den Tisch.
»Sie wurde für dich abgegeben«, sagte er.
Vorsichtig zog ich den Reißverschluss auf und entnahm der Tasche eine Wolldecke. Sie war bunt, neu und teuer, das sahen wir.
Dann fand ich ein Päckchen, nur ein wenig größer als eine Zigarettenschachtel. Es war in Geschenkpapier verpackt, mit einer Rosette aus goldenem Zierband geschmückt, und ein kleiner Anhänger trug mit zierlicher Handschrift die Worte: Zur Verlobung, Dein Papa.
Verwirrt steckte ich es zurück.
Werner schwieg. So, als betrachte er Unmögliches, stierte er auf meine Hände.
Eine Brieftasche, die auf dem Boden der Tasche lag, erregte meine besondere Neugier. Ich nahm sie heraus und schlug sie auf.
»Ein Flugticket Berlin-Amsterdam«, stotterte ich verwirrt und legte einen zusammengefalteten Prospekt daneben.
Ich fand ein ganzes Bündel Euro und entnahm der Brieftasche eine Visitenkarte. Ich las: Kirk Freedendonk, Hotel Uplemur, gute Zimmer, exquisite Küche, Saal für Hochzeiten und Kongresse, Kanterstraat 47, Amsterdam.
Sprachlos entfaltete ich den Prospekt. Er war farbig und mehrsprachig. Ich fand den deutschen Text.
Internationales Philologentreffen 2011, unter dem Motto »die EU und das anzustrebende Gemeinschaftsabitur«.
Ich überflog die glaubhaft klingenden Programmspalten.
Werner setzte sich in den
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