Letzte Ausfahrt Ostfriesland
Menschen standen mit lebhaften, theatralischem Getue herum. Dazu gesellten sich neben fein gekleideten Menschen Fremde aus aller Welt.
Eingeschüchtert schritt ich an den Fassaden entlang, war bemüht, nirgendwo anzuecken, und suchte nach dem Schriftzug des Hotels.
Ich fühlte mich einsam und war dennoch nicht allein. Mitten unter flanierenden Menschen ging ich an großen Fenstern vorbei, hinter denen sich Frauen mit entblößten Brüsten den Blicken der Passanten feilboten.
Mein Herz verkrampfte sich. Wie in Berlin überfiel mich die Angst, meine Tochter hier als Schaufensterangebot mit einem Preisschild in Euro, Dollar oder Pfund anzutreffen.
Männliche Begierde spürte ich nicht. Im Gegenteil, das Gefühl der Betroffenheit machte mich aggressiv, und ich glaubte, mich unter Schweinen ohne Gefühl zu bewegen.
Wie schnell können Bastionen fallen, aber auch errichtet werden. Noch vor wenigen Tagen - oder waren es nur Stunden? - hätte ich als Witwer Gefallen gefunden an dieser sündigen Meile. Hätte mich aufreizen lassen, bis der letzte Nerv in mir bestätigt hätte, dass ich mit fünfzig Jahren noch nicht zum alten Eisen zählte und bei Weitem noch nicht zu alt für alle Sünden war.
Wie eine Erlösung aus schlimmen Träumen erkannte ich die grünliche Lichtreklame. Das musste das Hotel Uplemur sein!
Vor den Stufen des Hauses, das an der Kanterstraat 47 lag, blieb ich für Sekunden stehen, musste mich noch einmal sammeln, um zu begreifen, dass Inga sich in der Umgebung der sündhaften Laster einem Mann anvertraut hatte, den ich nicht kannte.
Die wenigen Stufen fielen mir schwer.
Enttäuscht schaute ich auf den schmierigen Portier. Sein Gesicht war gerötet, seine Augen wirkten flatterhaft und seine knochigen Hände verrieten mir, dass er gewiss nicht zögerte, zuzulangen, wenn es um etwas ging.
Bis zu diesem Augenblick hatte ich die schwüle, feuchte Abendluft nicht sonderlich wahrgenommen. Sicher hatte auch ich geschwitzt, doch die Erwartungen und der Weg hierher hatten genügend Ablenkung geboten.
Ich konnte nicht unterscheiden, ob der Portier ein T-Shirt oder ein Unterhemd trug. Nur die Tätowierung auf seinem muskulösen Arm forderte meinen Blick heraus.
Eine Kringellinie deutete ich als Meer, aus der ein Delfin hochzuschießen schien.
»Suchen Sie ein Zimmer, Mijnheer?«, fragte er, während sein flackernder Augenaufschlag mir Gänsehaut schuf.
Ich nickte. »Ich möchte bei Ihnen wohnen und eine Verlobung feiern«, sagte ich.
Er ließ sich anstecken von meiner Fröhlichkeit.
»Feste zu feiern ist besser, als feste zu arbeiten«, sagte er.
»Ich komme aus Berlin und überbringe ein Geschenk!«, sagte ich.
Als er sich erhob, bekam ich einen vollen Eindruck seiner Körperfülle. Seine Schultern waren breit, seine langen Beine steckten in abgewetzten Jeans. Er beugte sich vor, genauer, er ließ sich zu mir herab, legte seine Hand auf meinen Unterarm, und ich spürte den elektrischen Schlag, selbst durch meine Lederjacke.
»Das wird ein Fest!«, sagte er.
Seine Bestätigung bestärkte meine Hoffnung, Inga hier anzutreffen.
»Wo ist die Braut?«, fragte ich deshalb gelockert.
Er grinste mich an. »Sie wartet auf ein Geschenk«, antwortete er und wies in eine Empfangshalle, in die ich mich begab.
Enttäuscht stand ich vor abgewetzten Sesseln und starrte auf eine Zimmerpalme, die halb vertrocknet auf Wasser wartete. Ich setzte mich. Die mit Plüsch bedeckte Wand trug nicht dazu bei, mein aufkeimendes Misstrauen zu verscheuchen. Unpassend befanden sich viele Spiegel zwischen den Stoffbahnen.
So hatte ich mir immer einen Puff vorgestellt.
Als hätten sich meine Gedanken verwirklicht, erschien aus einem Seitengang ein Mädchen. Es war gut gewachsen. Um ihr einfältiges Gesicht hing eine platinblonde Mähne. Ihre nackten Brüste ruhten auf einem nur im Ansatz vorhandenen BH wie kleine Bälle. Die spitzen Brustwarzen schienen auf mich zu zielen.
Entsetzt stierte ich auf ihren Rock, der durchsichtig war und einem groben Fischernetz glich.
»Die Braut wartet«, sagte sie.
Meine Beine wurden so schwer, dass ich mich nicht erheben konnte. In ihren Augen las ich die Aufforderung: »Na, Opa, los!« Sie bückte sich seitlich und griff nach meiner Reisetasche, während ich auf ihre Brüste starrte, die von der kleinen Rampe auf den Boden zu stürzen drohten.
Ich erhob mich, sprach ein stilles Gebet und folgte ihr. Was erwartete mich? Welche Absicht verfolgten die Berliner Gangster, als ich ihnen
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