Letzte Ausfahrt Ostfriesland
Glockenschläge der Turmuhr elektrisierten mich, die dumpfen Töne trafen meinen Magen.
Ich sprang auf, holte das Taubenfutter aus meiner Tasche und warf die Körner schwungvoll den stolz daherschreitenden Tauben zu.
Vom Taxistand löste sich ein Mann. Das weiße Sommerhemd ließ seine Hautfarbe noch dunkler erscheinen. Ein Schnurrbart beherrschte das knochige Gesicht. Seine Heimat konnte Griechenland, vielleicht auch die Türkei sein, jedenfalls war er kein Holländer.
Er blieb stehen, schaute den Tauben zu, die das Futter mit eleganten Bewegungen und nickenden Köpfen aufpickten.
Als ich an ihm vorbeischritt und die leere Plastiktüte in einen Abfalleimer warf, sah ich, dass sein muskulöser Arm tätowiert war. Er folgte mir und sagte nur: »Mister.«
Ich nickte und ging neben ihm her zu seinem Audi A6, den er so geparkt hatte, dass er seine wartenden Kollegen nicht behinderte.
Ich stieg ein, zog den Stadtplan aus meiner Jacke und breitete ihn auf meinen Oberschenkeln aus.
Der Fahrer fädelte sich in den fließenden Verkehr ein. Nieuwe Spiegelstraat, las ich, um den Weg durch die City zu verfolgen. Er schaute mich kurz an. In seinen Augen lag eine mich beeindruckende Wildheit.
»No map!«, stieß er verärgert hervor und drosch den Wagen durch den Verkehr, dass mir angst und bange wurde.
Ich faltete die Karte zusammen und konzentrierte mich auf herausragende Gebäude, Hochhäuser, Türme und Kaufhäuser, um später, falls es notwendig werden sollte, den Weg rekonstruieren zu können.
Das hatte der Taxifahrer ebenfalls begriffen, denn es kam mir so vor, als stierte ich gelegentlich auf Fassaden und Plätze, die ich bereits in meine Erinnerungen eingegliedert hatte.
Doch dann vereitelte eine eintönige Wohngegend mit gleichartigen Straßen und Häusern meine Absicht. Vielleicht befuhr der Mann ununterbrochen Parallelstraßen, um mich zu verwirren.
Erst danach sah ich brachliegendes Grünland mit Unrat. Hässliche Häuser und tote Vorgärten ließen wir hinter uns. Schrebergärten zeigten an, dass wir uns an der Peripherie von Amsterdam befanden. Weit ragten die Wohnsilos einer Trabantenstadt in den blauen Himmel.
Eine Autostraße lag zwischen uns, und ich beobachtete, wie die Autos in beide Richtungen mit hohen Geschwindigkeiten rasten.
Ich verspürte Angst. Mir kam der Gedanke, der Mann könnte mich über den schmalen Asphaltweg zu einem Autofriedhof oder an einen einsamen Baggersee fahren, um mich dort zu liquidieren. Ich besaß keine Waffe, hätte auch mit Pistolen und Revolvern nicht umgehen können.
Ein grüner Wall behinderte meine Sicht, und nervös wartete ich auf das Ziel des Audi A6.
Doch dann sah ich vor mir eine Ansammlung von Wohnwagen und Reisemobilen. So, als hätte sich dort ein Sintivolk niedergelassen.
Der Fahrer steuerte den Wagen direkt auf die Ansiedlung von Räderheimen zu.
Erst jetzt bemerkte ich, dass die fahrbaren Wohnheime so seitlich von unserer Straße abgestellt waren, dass für Besucher genügend Parkfläche blieb.
Teure Konstruktionen, aber hin und wieder auch bunte Pfingstautos junger Leute wirkten eilig abgestellt.
Mich traf es wie ein Schlag, als ich sah, dass hinter den Lenkrädern nackte Mädchen saßen, die uns aufmunternd zuwinkten.
Mir fiel auf, dass die Fenster der Wohnmobile mit Tüchern oder Plastikjalousien behängt waren. Zahlende Gäste waren die Besucher, folgerte ich, und mir wurde bewusst, dass ich mich mitten in einem Puff auf Rädern befand.
Der Fahrer fuhr langsamer. Er nahm seine Linke vom Lenkrad, griff in die Hosentasche, zog eine Pistole heraus, die er mit an den Bauch gewinkeltem Arm auf mich richtete.
Im Spiegel beobachtete ich seine wilden Augen.
»No stop!«, sagte er entschlossen.
Ich hatte begriffen und überwand meinen Ekel. Hastig suchte ich mit meinen Blicken die Wagen ab und entdeckte Inga, meine Tochter, die mit entblößten Brüsten am Steuer eines VW Globetrotter saß und unserem Taxi entgegenwinkte, ohne mich, so schien es mir, erkannt zu haben.
Ich sackte vor Enttäuschung auf meinem Sitz zusammen, unfähig zu sprechen. Selbst wenn ich eine Flucht geplant hätte, meine Arme und Beine hätten mir den Dienst versagt.
Der Taxifahrer steckte die Pistole wieder ein.
»Good, Sir«, sagte er, ließ den Wagen weiterrollen, wendete dann und fuhr zurück.
Ich stierte auf die Wohnmobile, dann sah ich Inga erneut. Sie lächelte mich an, hob ihre Hand und bildete das V-Zeichen mit ihren Fingern, als riefe sie mir Victory zu.
Das
Weitere Kostenlose Bücher