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Letzte Ausfahrt Ostfriesland

Letzte Ausfahrt Ostfriesland

Titel: Letzte Ausfahrt Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor J. Reisdorf
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Frau, die mir diese Tasche nicht gepackt hatte, aber genauso versorgt hatte sie mich früher entlassen, wenn ich zu einer Lehrerfortbildung für wenige Tage fuhr. Doch jetzt wollte ich nicht weich werden. Ich bemühte mich um den weiteren Inhalt der Bongotasche.
    In einer versteckt liegenden Seitenabtrennung fand ich eine Brieftasche. Ich öffnete sie und spürte, wie mir der Schweiß ausbrach.
    In meiner Hand lag eine Flugkarte erster Klasse nach Istanbul. Erneut schaute ich ungläubig hin, doch es gab keinen Zweifel. Amsterdam-Istanbul und dieses Mal mit Rückflug.
    Hastig griff ich in die Seitenfächer. Sie enthielten Dollarscheine und türkische Lira in höheren Werten. Erst danach bemerkte ich das Faltblatt.
    Eine Seite enthielt einen Informationstext in deutscher Sprache, die andere konnte Türkisch sein. Ich schaute auf die bunte Aufnahme einer Moschee, die ihre Minarette wie große Zeigefinger in einen blassen Himmel hielt. Der Untertitel lautete: Blaue Moschee Istanbul.
    Das andere Foto hatte einen modernen eckigen Marmorbau mit Säulen, dessen Wände Fresken zierten, abgelichtet. Ich las: Atatürk, Ankara.
    »Sie können mich doch nicht rund um die Welt jagen«, stöhnte ich ergeben, denn innerlich hatte ich mich schon bereit erklärt, den neuen Auftrag anzunehmen.
    Ich setzte mich auf die Bettkante, langte nach der Lesebrille, denn der Text war klein gedruckt, und las:
    Sie werden herzlich willkommen geheißen in der Türkei zum türkisch-deutschen Philologentreffen!
    Beim Besuch unseres Außenministers im Frühjahr 2009 wurden die Grundlagen eines notwendigen Gedankenaustausches deutscher Lehrer mit Kollegen unserer Gymnasien festgelegt.
    Türkische Schüler haben keine großen Chancen, im deutschen Bildungssystem den Weg zu den Universitäten zu finden. Andererseits haben wir den Eindruck gewonnen, dass deutsche Lehrer unsere Bildungsstufeneinheiten und deren Inhalte überhaupt nicht kennen. Unsere Veranstaltung soll Neuland betreten.
    Leider musste die Teilnehmerzahl beschränkt bleiben, und nicht alle Meldungen konnten Berücksichtigung finden.
    Sie gehören zu denen, die zu uns kommen können.
    Wir wünschen Ihnen eine gute Reise und freuen uns mit unserem Land auf Ihren Besuch.
    Ich legte den Prospekt auf das Bett. In meiner Heimatstadt Norden gab es zwar auch Ausländer, aber nicht sehr viele. In meinen Klassen befanden sich sehr wenige Türkenkinder, und nur ein Junge hatte im vergangenen Jahr in meinen Fächern am Abitur teilgenommen.
    Das Schreiben war sicher echt, nur stand mir der Platz nicht zu. Gut, sagte ich entschlossen, fahre ich zu meinem zweiten Kongress!
    Ich suchte die Brieftasche ab, fand aber keine weiteren Hinweise.
    Dieses Mal kein Verlobungsgeschenk?, fragte ich mich misstrauisch. Ich studierte die Reisetasche von einem Instinkt getrieben. Unter der dicken Stabilitätseinlage fand ich eine kleine eingesetzte Tasche.
    Meine Finger betasteten den Inhalt. Es konnte eine Karte sein, die dort von jemandem deponiert worden war, der wusste, dass ich begriffen hatte.
    Bemüht, sie nicht zu knicken, gelang es mir, sie hervorzuholen.
    Überrascht schaute ich auf ein Foto meiner Tochter. Ich war gerührt, doch mir kamen keine Tränen. Auf der Rückseite entdeckte ich ihre Schriftzüge.
    »Papa, vielleicht am Bosporus! Sofort vernichten!«, las ich, und erst jetzt spürte ich, wie mir eine innere Wallung das Blut ins Gesicht trieb.
    Gab es neben meinen Auftraggebern noch eine geheime Gegentruppe?
    Jedenfalls musste ich meinen Auftrag mit aller Ernsthaftigkeit erfüllen, und ich konnte aus Ingas Hinweis schließen, dass auch sie Amsterdam verließ oder verlassen musste.
    Ich nahm das Foto, zog mein Feuerzeug aus der Tasche und verbrannte das Bild über dem Aschenbecher. Die Rückstände drückte ich unter dem Strahl des Wasserhahns platt und beobachtete, wie die schwarzen Rußteilchen gurgelnd verschwanden.
    Erleichtert packte ich alles wieder in die Tasche, studierte noch einmal das Flugticket und stellte fest, dass ich in wenigen Minuten ein Taxi erwarten durfte.
    Es juckte mir in den Fingern, als ich an der Telefonzelle vor der Rezeption vorbeischritt, den Telefonhörer in die Hand zu nehmen und meinen Chef anzurufen, um ihm mitzuteilen, dass ich ein Ausgewählter war, der am deutsch-türkischen Pädagogentreffen sein Gymnasium mit dem nötigen Ernst vertreten würde.
    Ich musste schrecklich lachen, denn ich sah sein dummes Gesicht vor mir, mit dem er alle Hürden bis zur Spitze genommen

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