Letzte Ausfahrt Ostfriesland
liegt ein Auslieferungsantrag der Bundesrepublik Deutschland auf meinem Schreibtisch. Morgen, beziehungsweise heute früh, werden Sie auf Staatskosten nach Düsseldorf fliegen, bis dahin bleiben Sie unser Gast.« Er gab den beiden Beamten einen Wink.
»Aber …«, schrie ich auf.
Er erhob sich, griff nach seiner Tasche, während mich die Beamten abführten.
Wir verließen den Trakt, nahmen Aufzüge, wechselten das Gebäude. Die beiden Kripobeamten sprachen nicht mit mir. Wozu auch?
Erst als ich an Türen vorbeischritt, die ohne Klinken und mit kleinen Öffnungsklappen versehen waren, nahm ich an, dass wir uns in den Vorräumen eines Gefängnisses befinden mussten.
Zwei Uniformierte übernahmen mich, wiesen mir eine Kammer zu und verschlossen sie.
Ich hielt sie für ein möbliertes Zimmer, denn es gab Schränke, Regale und eine Liege. Doch mein Interesse an meiner Umgebung war gesunken. Vielleicht zeigte auch der Alkohol Nachwirkungen, denn ich war müde und wusste, dass ich hier sicher war, und die Aussicht, nach Düsseldorf zu fliegen, fand ich plötzlich hoffnungsvoll, denn dann war ich in Deutschland und konnte dort endlich den Weg in die verdiente Freiheit antreten.
Ich warf mich auf die Liege und schlief sofort ein.
Höflich, das kann ich nur bestätigen, weckten mich die uniformierten Aufseher, nachdem ich, wie mir schien, gerade eingeschlafen war.
Es musste noch früh sein. Ich brauchte einige Sekunden, bevor ich begriff.
Ich warf mir ein paar Hände voll Wasser in das Gesicht, blickte kurz in mein Spiegelbild, lächelte ihm siegessicher zu. Das Rasieren konnte ich mir ersparen, denn ich hatte mir auf See einen prächtigen Vollbart zugelegt.
In der Kantine war noch nicht viel los, dafür aber servierte man mir ein Frühstück, das bewies, dass die Holländer sich nicht lumpen lassen wollten. Weißbrot, Roggenbrot und Brötchen zur Auswahl, Käse, Schinken und Nugatcreme, Butter im Übermaß und einen Kaffee, dessen Duft schon ausreichte, mich friedlich zu stimmen.
Niemand störte mich, keiner verscheuchte mir meine Gedanken. Ich muss so etwas wie ein Edelgefangener sein, dachte ich. Alles sprach dafür, dass man mich in Amsterdam nicht für einen schweren Jungen hielt.
In diese Linie passte auch der kleine Mann mit Glatze, der einen Trenchcoat trug und mich mit breiter Denkerstirn aus kleinen, dunklen Augen taxierte.
»Herr Doktor Udendorf? Wigges, Kommissar. Ich habe die Aufgabe, Sie nach Düsseldorf zu begleiten.«
Das war alles, was er gesagt hatte, denn ich erinnere mich nicht an weitere Worte aus dem schmalen Mund des Mannes.
Ein Polizeiwagen, Wigges und ich saßen hinten, brachte uns in der Morgendämmerung über die Stadtautobahn zum Flughafen.
Als hätte das Flugzeug auf uns gewartet - es gab weder Passkontrollen noch Zollschranken - passierten wir ungehindert alle Schalter und Sperren. Der Ausweis des Kommissars, den er wie eine Erkennungskarte zwischen seinen gespreizten Fingern hielt, hatte das möglich gemacht.
Der voll besetzte Mittelblock zeigte an, dass die beiden freien Fensterplätze für Wigges und mich reserviert waren.
Kurz danach heulten schon die Triebwerke auf.
Der Himmel war grau, und das Flugzeug tauchte ein in eine Wolkendecke, die weder Oben noch Unten erkennen ließ.
Das Gesicht meines Begleiters deutete mir an, dass er von mir nicht viel hielt und auch von mir nichts hören wollte. So ließ ich meine Gedanken in die dichten Wolken ziehen.
Noch war ich erfüllt von Siegesfreude und ging die bestandenen Abenteuer nicht ohne Stolz noch einmal durch. Alles schien sich zum Guten zu wenden. Angst, einem Justizirrtum zum Opfer zu fallen, hatte ich nicht.
Sicher war das Schicksal der Mädchen noch nicht restlos geklärt, aber ich vertraute auf ten Woolf, der ja nicht in Pension ging, sondern noch am Ball war.
Aber hatten wir die Organisation zerschlagen, oder hatte sie in Düsseldorf gewaltiges Anklagematerial gegen mich gesammelt? Meine Blanko-Unterschriften?
Mein Optimismus verflog. Nun stellte ich mir eigentlich zum ersten Mal die Frage, warum ich nach Düsseldorf musste und nicht nach Berlin. Würden die Beamten mir dort meine Geschichte abkaufen?
Wigges neben mir zeigte keine Regung. Sein Gesicht war geradeaus gerichtet.
Der Jumbo flog eine Schleife, stieg nach unten, und ich sah den Rhein, der eine große Schleife zog und Düsseldorf von Neuss trennte.
Im Grau lagen die Häusermeere, die Industriebetriebe und Schiffe. Doch im Anflug auf den Flugplatz
Weitere Kostenlose Bücher