Letzte Ausfahrt Ostfriesland
auch sein Versprechen gehalten hatte. Denn auch er hatte als Student von großen Reportagen für Zeitschriften wie Spiegel und Stern geträumt.
Daraus zog ich nun die Schlussfolgerung, dass sich Hans-Dieter Dotter an einen Rechtsanwalt gewandt haben musste, der irgendwo in seiner ihm vertrauten Wohngegend praktizierte.
Unter Umständen würde ich Tage benötigen, alle Hausfassaden nach den weißen Emailleschildern abzusuchen.
Das kleine Fenster des Bistros ließ mir den Blick auf ein Grundstück frei, nicht größer als mein Garten zu Hause, über das eine türkische Mutter ihre Kinder führte.
Meine Uhr zeigte an, dass bereits fünfunddreißig Minuten verstrichen waren. Ich suchte wieder die Telefonzelle auf.
»Herr Doktor Stein, es sind sieben Anwaltsbüros. Ich diktiere …«, klang es mir entgegen. Ich schrieb die Adressen mit.
Mein Espresso war kalt geworden. Ich ging die Anschriften durch. Drei der genannten Büros trugen Doppelnamen.
Ich setzte sie ans Ende. Die übrigen ordnete ich nach dem Stadtplan ein. Der jungen Türkin überließ ich ein großzügiges Trinkgeld.
Der erste Name, Doktor Heermann, entpuppte sich als Niete. Aber ich lernte aus der Abfuhr, dass meine zurückhaltende Art nicht ankam. Ich musste forscher auftreten.
Es war bereits kurz vor achtzehn Uhr, als ich vor dem Emailleschild eines Josef Weidenreich stand und mich noch einmal zusammennahm.
Der jungen Frau nannte ich dringende Angelegenheiten und wartete, als sie ihre Unterschriftenmappe in das Chefbüro trug.
Weidenreich rief mich zu sich. Der Mann gefiel mir. Er trug einen kleinen Lippenbart, war knapp über die dreißig und konnte zuhören. Pfiffig fragte er mich: »Herr Doktor Udendorf, Sie sind Lehrer. Sie suchen nach einem Studenten Dotter? Und ich kann davon ausgehen, dass Sie nicht familiäre oder kriminalistische Ziele verfolgen?«
Ich nickte und wusste nicht, ob er mich nur so ausfragte oder ob er der war, den ich suchte.
»Und was könnte Dotter mit mir zu tun gehabt haben?«, fragte er.
»Er wollte Filmrollen loswerden, die nicht alltägliches Material enthielten und von meiner Tochter kamen«, sagte ich und beobachtete ihn.
»Nun, der Junge wurde erschossen. Ob sein Tod mit seiner Deponie bei mir im Zusammenhang steht, kann ich erst feststellen, wenn das Hinterlegungsdatum abgelaufen ist«, sagte er.
»Herr Weidenreich, die Zeit ist abgelaufen. Meine Tochter befindet sich in Untersuchungshaft und gleichzeitig in Schutzhaft! Ich bin von Amsterdam nach Düsseldorf, dann nach Berlin geflogen worden, weil ich an der Zerschlagung eines Rauschgiftkonzerns beteiligt war, der immerhin versucht hatte, für hundert Millionen Euro Rauschgift nach Holland zu schaffen. Die Filmrollen haben mir möglicherweise und auch meiner Tochter bestimmt das Leben gerettet.«
Er schaute mich lange an.
»In meinem Tresor liegen die Filme. Aber, wenn Sie Lehrer sind, wieso genießen Sie eine andere Ferienordnung?«, fragte er mich.
»Ich bin erpresst worden und habe mein Gymnasium seit Wochen nicht mehr gesehen«, antwortete ich.
»Das trifft sich hervorragend. Sind Sie in der GEW?«, fragte er mich.
Ich nickte.
»Das ist großartig! Dann kann ich Sie vertreten, denn das Beamtenrecht ist meine Spezialität. Die Probleme Ihrer Tochter fallen damit in meinen Bereich. Verstehen Sie?« Das war eine klasse Argumentation. Ich fühlte instinktiv, dass dieser Mann mir helfen konnte.
»In Ordnung, ich kann auch Ihre Gebühren übernehmen, falls die GEW nicht zahlt«, sagte ich.
»Warten Sie ein Viertelstunde. Ich unterschreibe die Post, dann können wir in die Details gehen«, schlug er vor.
Nun, so lange konnte ich warten, denn er hatte neue Hoffnungen in mir geweckt.
Als die junge Frau ihn mit der Geschäftspost verließ, wandte er sich mir zu.
»Ich bin noch nicht lange selbstständig. Es gibt zu viele arbeitslose Juristen, und es ist schwer, gegen alteingesessene Namen zu kämpfen.« Er ließ seinen Daumen über das flache Bärtchen gleiten. »Erzählen Sie mir Ihre Geschichte, damit ich den ermordeten Hans-Dietrich Dotter einordnen kann.«
Ich begann, und er unterbrach mich nicht. Es tat mir gut, einen Mann vor mir zu wissen, dem ich mich ohne Scheu anvertrauen konnte.
Es dämmerte bereits, als ich meine Erlebnisse hier in seiner Kanzlei auslaufen ließ und ihm klarmachte, dass er nun Teil der Fortsetzung sein würde.
»Wo bleiben Sie heute Nacht?«, fragte er mich.
»Noch besitze ich genügend Geld, um mir ein Hotel zu
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