Letzte Ausfahrt Oxford
aufgehängt«, erklärte Ian, der ihren Blick bemerkt hatte. »Ich musste eine Seite in diesem Buch hier reparieren. Mit den Filzlappen presse ich die Klebestelle während der Trockenzeit zusammen. So entstehen keine Falten.«
Die Arbeit in Maltbys Büro schien außerdem viel mit Wasser und schmutzigen Wattebällchen zu tun zu haben. Das ganze Ambiente erschien Kate unangenehm und uninteressant. Schnell wurde ihr klar, dass sie es nie in einem ihrer Romane würde verwerten können. Trotzdem ließ sie sich weiter herumführen, hörte Ian Maltbys Ausführungen über seine Arbeit zu und bedankte sich am Ende herzlich, dass er ihr so viel Zeit gewidmet hatte. Er strahlte sie mit seinen lückenhaften Zähnen an und versicherte ihr, sie dürfe selbstverständlich jederzeit wiederkommen.
Hinter seinem Rücken erinnerte eine Pinnwand mit einer ziemlich willkürlichen Ansammlung von Postkarten, die weiße Strände und kobaltblaues Wasser zeigten, an eine andere, lockende Welt außerhalb der Bibliothek. Besonders eine Karte fiel Kate ins Auge. Rote und violette Bougainvilleen wucherten über eine weiß getünchte Mauer. Santa Luisa , California , las sie, ehe ihre Aufmerksamkeit zu Ian Maltby zurückkehrte. Sie lehnte eine Einladung ins Kino ab und verließ den Raum.
Kalifornien, dachte sie. Die jungen Damen der Belegschaft. Hatte Jenna jemals in der Bodleian gearbeitet? Doch an diesem Nachmittag hatte sie so viel zu tun, dass sie nicht mehr dazu kam, danach zu fragen.
»Ich bin hirntot«, sagte sie zu Andrew. Sie hatten sich in ihrem Stammlokal Krypta auf einen entspannenden Abenddrink getroffen. »Zumindest fühle ich mich so. Ich hatte völlig vergessen, welche Auswirkungen so viele Stunden konzentrierter Computerarbeit haben können. Meine Augen scheinen noch immer fest auf einen Punkt dreißig Zentimeter vor meiner Nase gerichtet zu sein. Wenn ich woanders hinschaue, muss ich schielen. Meine Finger sind steif, weil sie ständig die gleiche Tastenreihenfolge eingetippt haben. Mein Kopf fühlt sich wie betäubt an, weil ich mich den ganzen Tag auf diese flackernden grünen Buchstaben auf dem Bildschirm konzentrieren musste und so triviale Probleme wie die Frage nach Eingabekriterien gewälzt habe. Die Frau am Nachbarschreibtisch ist Frischluftfanatikerin und reißt bei jedem Wetter sämtliche Fenster auf. Der Mann ihr gegenüber hat dafür schreckliche Angst vor Durchzug. Jedes Mal, wenn sie den Raum verlässt, springt er auf und knallt sie wieder zu. Wenn die Frau zurückkommt, geht natürlich das Gezänk los. Am liebsten würde ich gleich beide erwürgen.« Kate hielt inne, um Atem zu schöpfen.
»Patricia, bitte eine Flasche roten Hauswein und zwei Gläser«, sagte Andrew in die kurze Pause hinein. »Und vielleicht drehen Sie die Musik einen Tick lauter. Die anderen Gäste brauchen nicht unbedingt zu hören, was meine Freundin zu erzählen hat.«
»Kein Mensch interessiert sich für deine blöden Computer, Andrew«, konterte Kate verärgert. »Ich kann so laut reden, wie ich will.«
»Ich weiß genau, dass du gleich Namen nennst und Vorwürfe hinausbrüllst«, seufzte Andrew. »Patricia, bringen Sie ihr doch bitte ein Hühnchensandwich. Das hebt den Blutzuckerspiegel an und beruhigt.« Die Kellnerin verschwand in die Küche, als sei Andrews Bestellung etwas völlig Normales. »Du bist schrecklich, wenn dein Blutzucker runtergeht«, fügte Andrew zu Kate gewandt hinzu.
»Meine Verdauung hat überhaupt nichts damit zu tun. Ich habe nichts weiter getan, als ein paar durchaus vernünftige Kommentare zur Eingabe in den Bibliothekskatalog abzugeben.« Sie trank einen Schluck Wein und fuhr etwas ruhiger fort: »Eigentlich wollte ich dich nur fragen, worauf genau ich achten soll. Welche Art Bücher könnten verschwinden, Andrew? Hat jemand vor, einfach nur sämtliche bei Mills und Boons erschienenen Trivialromane aus den Regalen verschwinden zu lassen, oder müssen wir uns auf etwas erheblich Raffinierteres konzentrieren? Was meinst du? Seit ich Bücher erfasse, weiß ich erst, wie viel reichlich obskure Literatur jede Woche in diesem Land veröffentlicht wird. Aber wo soll ich mit meiner Suche anfangen?«
»Die Fachbibliotheken führen hauptsächlich Lehrbücher für Studenten. Natürlich sind solche Werke oft ziemlich teuer, zumal die für Jura und Medizin. Trotzdem glaube ich nicht, dass jemand seine Karriere und seine weiße Weste aufs Spiel setzt für ein Buch, das gebraucht höchstens zwanzig oder dreißig
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