Letzte Ausfahrt Oxford
hässlichen Kneipe vom Mittag hatte dieser Pub absolut nichts gemein. Sie würde ihre Vorurteile über Paul Taylor überdenken müssen.
Ehe sie Fragen stellte, wollte sie die ersten beiden Gänge abwarten. Während der Räucherforelle hatte sie sich geistreich – hoffte sie zumindest – über die Universitätsbibliothekare in Oxford verbreitet und sich über der gebratenen Entenbrust als wunderbare Zuhörerin gezeigt, als Paul ihr die Prinzipien des Crosstrainings zur Vorbereitung eines Triathlons erläuterte. Aber nachdem sie angesichts des Dessertwagens traurig den Kopf geschüttelt und stattdessen einen entkoffeinierten Kaffee geordert hatte, wandte sie sich vorsichtig dem Thema Jenna zu.
»Ich kümmere mich gerade um die Erfassung von Büchern in einigen Universitätsbibliotheken«, begann sie. »Es gibt da ein kleines Problem mit verloren gegangenen Einträgen.« Sie hoffte, es klang uninteressant genug. »Also halte ich die Augen für Ungereimtheiten offen.«
»Und?« Er sah aus, als könne sie ihn keine Sekunde lang täuschen.
»Es ist keine besonders anspruchsvolle Arbeit, verstehen Sie«, tastete sie sich erneut vor. »Ein kleines Zusatzeinkommen, während ich an meinem Buch arbeite.«
»Verstehe. Ihr Auto verschlingt bestimmt ein Vermögen an Reparaturen und Versicherung«, sagte er.
»Ganz recht. Nun, ich bin gerade auf den Eintrag einer Praktikantin gestoßen, die – hm – Sie würden vielleicht sagen – hm – tja, sie weilt nicht mehr unter den Lebenden.«
»Wie hieß sie denn?« Aber Kate wusste, dass er wusste, von wem sie sprach.
»Jenna Coates. Sie hat im St. Luke’s gearbeitet, wo ich mich um die Erfassung gekümmert habe. Ich weiß, dass sie nach einem Wochenende mit Freunden kurz vor Oxford ermordet wurde. Vermutlich hat sie sich von einem Fremden im Auto mitnehmen lassen. Ein paar Tage später wurde sie von einem Bauarbeiter auf einer Baustelle gefunden. Das alles ist allgemein bekannt. Und jetzt hoffe ich, Sie können mir noch ein bisschen mehr erzählen.« Sie neigte ihren Kopf zur Seite und blickte ihn mit weit geöffneten Augen an. Wäre doch gelacht, wenn sie es nicht schaffte, einen durchschnittlich sexistischen Polizisten zu umgarnen.
»Es war die Ausfahrt Oxford«, erklärte Paul, ohne Notiz von ihren Spielchen zu nehmen.
»Was?«
»Sie ist auf der Ausfahrt Oxford ermordet worden. Zur fraglichen Zeit fanden dort Ausbesserungsarbeiten statt. Er muss die Baustellenzufahrt entlanggefahren sein, bis er außer Sichtweite der Autobahn und der eigentlichen Abfahrt war. An einem Sonntag um diese Uhrzeit ist sowieso nicht viel los.«
»Sind Sie denn sicher, dass sie von einem Mann umgebracht wurde? Wie ist sie eigentlich genau gestorben?«
»Sie wurde mit einer Strumpfhose erdrosselt. Zwar hätte das vermutlich auch eine starke Frau schaffen können, aber häufiger töten Männer auf diese Art. Und in den meisten Fällen gibt es dafür einen sexuellen Hintergrund.«
»Wurde sie vergewaltigt?«
»Sie fragen ganz schön direkt. Nein, wurde sie nicht. Trotzdem wies die Leiche relativ viele Verletzungen auf. Vielleicht hatte er auf mehr Willfährigkeit gehofft und sie erst erdrosselt, als sie sich wehrte.«
»Sie meinen, nachdem er ihr die Strumpfhose ausgezogen hatte?«
»Das genau gehört zu den Ungereimtheiten bei diesem Mordfall. Jenna trug Jeans, Socken und Turnschuhe. Keine Strumpfhose. Und da sie für das Wochenende keinen Rock eingepackt hatte, gibt es auch keinen Grund, warum sie eine Strumpfhose bei sich gehabt haben sollte. Er muss sie mitgebracht haben.«
»Passiert so etwas manchmal?«
»In weniger als zwei Prozent aller Todesfälle durch Strangulation, bei denen Strümpfe oder Strumpfhosen verwendet werden, gehört die Mordwaffe nicht dem Opfer.«
»Mit anderen Worten: Es passiert selten, aber man hat solche Fälle erlebt«, überlegte Kate. Sie wünschte, er würde nicht ständig wie ein Handbuch für den Polizeidienst reden.
»Das ist zwar laienhaft ausgedrückt, stimmt aber in etwa.«
»Wenn er die Strumpfhose mitgebracht hat, bedeutet das, er hat die ganze Sache im Voraus geplant. Dann aber war er weder ein Unbekannter noch ein Gelegenheitstäter.«
»Sie stellen eine Menge Vermutungen an. Wer weiß, vielleicht hatte sie ja doch eine Strumpfhose im Gepäck. Und wenn nicht, hatte vielleicht seine Frau oder Freundin eine im Wagen liegen lassen. Oder er war Vertreter und führte eine Auswahl in seinem Koffer mit.«
»Mal ganz ehrlich: Halten Sie eine
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