Letzte Ausfahrt Oxford
geheimnisvolle Tinkturen brauten. Doch sofort wurde ihr bewusst, wie unangemessen diese Vorstellung im Zusammenhang mit einer seriösen Institution wie dem Kennedy House war. »Würden Sie mir bitte kurz erklären, was die Instandsetzungsabteilung genau macht?«
»Meistens werden dort Bücher geflickt. Die Angestellten kümmern sich darum, unsere Bücher unter den bestmöglichen Umständen aufzubewahren, und sie vor allen Dingen vor Beschädigungen zu schützen. Es geht das Gerücht, Instandhalter würden am liebsten alle Bibliotheken komplett unter ihre Fittiche nehmen, die Bücher in säurefreien Schutzboxen unterbringen und sie in klimatisierten Räumen ohne Temperaturschwankungen verwahren. Den Leser als solchen betrachten sie als ihren natürlichen Feind, denn dabei handelt es sich um Leute, die Bücher aus den Regalen nehmen, sich mit ihnen beschäftigen, sie öffnen, die Seiten umblättern und sie dem schädlichen Sonnenlicht aussetzen.«
Schuldbewusst dachte Kate an ihre eigenen kampferprobten und zerfledderten Bücher. Ihr wurde schlagartig klar, dass sie selbst ganz bestimmt als natürliche Feindin der Instandhalterin infrage käme. Trotzdem musste sie sich mit der Dame auseinander setzen und sie nach Jenna Coates befragen. Sie hatte den Eindruck, ein guter Teil der fehlenden Puzzlestücke könne hier im Kennedy House zu finden sein. Gerade wollte sie vorschlagen, sich endlich auf den Weg zu machen und die Belegschaft kennen zu lernen, da fügte der Direktor hinzu: »Nachdem Jenna ihre Zeit hier beendet hatte, nahm sie einen eigentlich nicht vorgesehenen Urlaub. Sie war nach Kalifornien eingeladen worden, und weil sie ihr Praktikantenprogramm bis dahin so erfolgreich absolviert hatte, erlaubten wir ihr zu gehen. Nach ihrer Rückkehr wurde sie in St. Luke’s eingesetzt. Dort lernte sie die Ordnungskriterien kennen, kümmerte sich um Buchführung und Ausleihmodalitäten und bekam von Michael Ennis die Sammlungen zu speziellen Themengebieten gezeigt.«
»Ich glaube, einen Teil davon habe ich auch schon zu Gesicht bekommen«, nickte Kate. Die Aufsehen erregenden Illustrationen hatte sie nicht vergessen. »Wie viele haben sie denn?«
»Das weiß ich nicht. Vermutlich nicht besonders viele. Jenna interessierte sich vor allem für weibliche Autoren des neunzehnten Jahrhunderts, das weiß ich zufällig genau. Es ist durchaus möglich, dass es im St. Luke’s einen kleinen Bestand solcher Werke gibt.« Er erhob sich. »Möchten Sie jetzt die Belegschaft kennen lernen?«
Er ging ihr voraus einen mit schiefergrauem Teppichboden ausgelegten Korridor entlang. Die Wände waren in einem sanften Graugrün gestrichen und mit abstrakten, lebhaft gelben und goldenen Bildern geschmückt. Johnston klopfte an eine Tür und forderte Kate auf, einzutreten. »Das ist Angela Rugby, unsere Bibliothekarin«, stellte er vor. »Angela, dies ist Kate Ivory. Sie wird uns bei der Nacherfassung zur Hand gehen.«
Kate erblickte eine Frau, die ihr weißes Haar in einem kinnlangen Bubikopf trug. Ihr faltenloses, leicht gebräuntes Gesicht wirkte viel zu jung für den weißen Schopf. Sie saß an einem Schreibtisch hinter dem unvermeidlichen Computer, der sie aller Wahrscheinlichkeit nach mit dem Netzwerk der Universität und dadurch mit Datenbanken in der ganzen Welt verband. Vor ihr auf dem Schreibtisch lagen Pakete, bei denen es sich vermutlich um die morgendlichen Büchersendungen handelte.
»Ich führe Kate eben schnell durch den Laden«, erklärte Chris Johnston. »Wenn wir fertig sind, bringe ich sie zu Ihnen zurück.«
Angela musterte Kate mit einem kühlen, abschätzenden Blick, und schon ging es weiter, den Korridor entlang in die hinteren Räume des Gebäudes.
»Und hier ist die Instandsetzungsabteilung«, sagte der Direktor. Er öffnete eine Tür und begleitete Kate in ein Büro. »Darf ich Ihnen Susie Holbech vorstellen, Kate?« Kate nahm sich vor, so bald wie möglich wiederzukommen und mit Susie über Jenna zu sprechen. Bei der Instandhalterin handelte es sich um eine zierliche Person in weißem Kittel, mit undefinierbar bräunlichem Haar und einer Brille. Vor ihr auf der Arbeitsfläche lagen ein paar glanzlose braune Packen und ziemlich viele schmutzige Wattebäusche. Susie Holbech schenkte ihr ein flüchtiges Lächeln und fuhr in ihrer Arbeit fort.
»Und hier werden die Verzeichnisse geführt«, erläuterte Chris Johnston vor einem teuren, aus glänzendem Holz gefertigten Schreibtisch mit dem obligatorischen
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