Letzte Ausfahrt Oxford
haben, ist einer von diesen Leuten hier ein Bücherdieb, dachte Kate. Der Gedanke verursachte ihr Unbehagen. Noch unbehaglicher fühlte sie sich bei der Vorstellung, dass sie den Dieb möglicherweise entlarven und damit seine berufliche Zukunft ruinieren könnte. Was mochte wohl passieren, wenn man bei so etwas erwischt wurde? Das geht dich eigentlich nichts an, raunte ihr eine innere Stimme zu. Er oder sie hätten darüber nachdenken sollen, bevor sie sich darauf einließen. Aber hier geht es doch nur um Bücher , flüsterte die unbequeme Stimme, und trotzdem schickst du dich an, ein ganzes Leben zu zerstören. Richtig und falsch, antwortete ihr anderes Ich. Es geht um Gerechtigkeit. Außerdem war der Dieb vielleicht für den Tod einer jungen Frau verantwortlich – das galt es noch herauszufinden. Für eine solche Tat aber musste der Gerechtigkeit Genüge getan werden.
Plötzlich bemerkte Kate, dass Susie Holbech, die Instandhalterin, mit schwärmerisch lauter Stimme auf sie einredete und sie etwas fragte. Sie merkte auch, dass sie die ganze Zeit in ihren Reissalat gestarrt hatte.
»Sie haben Recht«, antwortete sie, »ich bin tatsächlich Schriftstellerin. Woher ich meine Ideen nehme? Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung. Sie kommen mir einfach, wenn ich mich vor meinen Computer setze und mich konzentriere.« Sie piekste ihre Gabel in den Reissalat und begann zu essen.
»Reisen Sie viel?«, hakte Susie nach. »Ich wäre immer gerne gereist, aber ich hatte nie Gelegenheit dazu. Am liebsten würde ich möglichst exotische Gegenden besuchen und dem Ganzen hier davonlaufen.« Kate stellte sich ihre laute Stimme und ihr bleiches Gesicht inmitten tropischer Vegetation vor und fand die Zusammenstellung ziemlich unpassend.
»Jemand hat mir doch erzählt, du würdest diesen Herbst nach Südamerika fahren«, warf Marty ein.
»Davon weiß ich nichts«, erwiderte Susie hochnäsig. »Mir war nicht einmal klar, in welchem Maß hier über mich getratscht wird.«
»Ich würde auf keinen Fall gern verreisen«, erklärte jemand, der Kate gegenüber einige Plätze weiter unten saß. Es war ein älterer Mann mit gewölbtem, kahlem Schädel und biederem Gesicht. Das musste Victor Southam sein. Warum muss mich das Aussehen von Bibliothekaren jedes Mal enttäuschen?, fragte sich Kate insgeheim. Verstohlen blickte sie an sich hinunter: Ihr Erscheinungsbild war in Ordnung – sie trug mit Abstand den kürzesten Rock.
»Ich bin zufrieden mit meinen Büchern und meinem Garten«, sagte Victor Southam gerade. »Und natürlich mit meinem Hund. Ich bin sehr stolz auf meinen Hund.«
Oje, dachte Kate, so sieht also das Unterhaltungsniveau hier aus. Nichts wie weg! Dabei erhaschte sie einen Blick von Marty, der ihr zuzublinzeln schien. Na ja, vielleicht würde sie ja doch bleiben.
Nach dem Mittagessen machte sie einen kurzen Spaziergang durch das Zentrum von Oxford und sauste in den Covered Market, um die Zutaten für ihr Abendessen zu kaufen. Als sie nach Kennedy House zurückkam, warf sie einen Blick auf den Parkplatz. Es gab noch mehrere freie Plätze. Sie nahm sich vor, am folgenden Tag mit dem Wagen zu kommen, obwohl sie gerade gelesen hatte, dass die Parkplätze von Oxford ein beliebter Tummelplatz für Autodiebe waren. Tatsächlich blinkte und hupte eines der Autos in einer Ecke des Stellplatzes, aber niemand schien davon Notiz zu nehmen. Möglicherweise konnte man es hinter der Doppelverglasung nicht hören. Sie entschied sich, hilfsbereit zu sein, und berichtete dem Portier von ihrer Entdeckung.
»Autoalarm?«, fragte der Portier. »Das muss der Wagen von Mr. Kieler sein. Das Ding geht schon los, wenn ein Spatz in zehn Fuß Entfernung einen Furz lässt. Ich werde den Herrn informieren.«
Kate kehrte in den Anbau von Kennedy House zurück und belud einen kleinen Handwagen mit Büchern aus den Regalen. Einige Stunden später war sie bei den Mysterien der Nancy Drew angekommen. Sie überprüfte das Titelverzeichnis im Computer, um zu sehen, welches Werk bereits erfasst war. In der Datei standen sechs Bücher. Kate klickte sich durch die Einträge, weil sie wissen wollte, auf welche Weise die Bücher erfasst worden waren. Ihre eigenen Einträge sollten dem vorhandenen System entsprechen. Nach höchstens zehn Minuten stieß sie auf die ersten Widersprüchlichkeiten.
Als ihr klar geworden war, was sie da gefunden hatte, rief sie Andrew an. Im Büro des Anbaus würde sie hoffentlich niemand überraschen.
»Ich habe etwas sehr
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