Letzte Ausfahrt Oxford
Seltsames gefunden, Andrew. In den Regalen fehlen fünf Bücher, und es existieren keine Verweiskarten auf Benutzung im Lesesaal. Das bedeutet – um bei der Ausdrucksweise der hiesigen Bibliothekarin zu bleiben –, dass sie gemopst wurden. Die Karten aus dem alten Handkatalog sind nicht mehr vorhanden. Das bedeutet, die einzigen Einträge für diese Bücher müssten sich im Computer befinden. Ich habe sie auch gefunden, als ich mich mit der Serie von Nancy Drew beschäftigte. Jemand hat sich bemüht, seine Spuren zu verwischen, indem er die kopierten Einträge von Kennedy House aus dem Computer zu löschen versuchte. Weil es aber noch weitere Ausgaben der Werke gibt, war das nicht ganz einfach. Er hat sich also damit begnügt, lediglich die Standortsignatur zu entfernen. Wenn man die Einträge genauer unter die Lupe nimmt, kann man feststellen, dass die Nummer der Erwerbsreihenfolge noch vorhanden ist. Das Witzigste ist, dass der Übeltäter in sämtlichen Einträgen Spuren hinterlassen hat.«
»Spuren?«
»Seine Initialen. Wenn du den Eintrag verlässt und’ in die detaillierten Angaben gehst, fügt das System automatisch das Kürzel der Bibliothek, die Initialen des Benutzers und das Datum ein.«
»Das weiß ich doch alles. Sag schon, wer es war.«
»Die Angaben lauten ken . vs , und die Daten liegen samt und sonders innerhalb der letzten beiden Monate. Ken steht, wie du dir sicher denken kannst, für Kennedy House, und vs müsste Victor Southam sein.«
Als sie es aussprach, fühlte sie sich miserabel. Dieser gefühlvolle alte Mann mit seinem Garten und seinem räudigen Hund! Was würde er jetzt tun? Was würde ein Mensch tun, dem mit fast sechzig gekündigt wurde und dessen Pension auf dem Spiel stand?
»Ich setze mich sofort mit dem Sicherheitsteam in Verbindung. Sie werden die Einträge überprüfen, feststellen, ob du Recht hast, und Victor Southam zur Rede stellen. Wir lassen dich aus dem Spiel, Kate. Dein Name wird nicht erwähnt.«
Kate empfand das als äußerst schwachen Trost.
Auf dem Heimweg schaute sie bei Camilla vorbei.
»Mit dir stimmt doch etwas nicht«, stellte Camilla fest.
»Nicht dass ich wüsste. Nur mein Job hat mir heute keinen Spaß gemacht.«
»So geht es vielen Leuten. Warum machst du dich nicht einfach wieder ans Schreiben?«
Kate ging im Zimmer auf und ab. Angelegentlich betrachtete sie Camillas Bücher. »Im Augenblick kann ich mir das nicht leisten.«
»Geh nach Hause, Kate. Setz dich an dein Buch.«
Der Abend war trüb, und als Kate in der Agatha Street ankam, gingen in vielen Wohnungen bereits die ersten Lichter an. Sie leuchteten das Leben innerhalb der privaten vier Wände wie eine Peepshow aus. Auf dem Weg durch den Garten zu ihrer Haustür durfte sich Kate des ungestörten Anblicks der Familie Krötengesicht erfreuen, die gerade am Abendbrottisch saß. Von der Wand gegenüber starrte eine große Fotografie von Klein-Krötengesicht finster auf die Familie herab. Jede Unebenheit seines Gesichts wirkte bis ins Monströse vergrößert. Rings um diesen Mittelpunkt hingen weitere Fotos von Familie Krötengesicht, die ihren Originalen bei der Nahrungsaufnahme zusahen.
Kate kramte nach ihrem Schlüssel, schloss auf und verschwand eilig im Haus. Camilla hatte Recht. Es war Zeit, dass sie sich wieder ihrem Buch widmete.
VII
Auszug aus dem Notizbuch eines Schriftstellers
I st es nicht merkwürdig, Mrs. Dolby, wie sehr eine Fristsetzung die Gedanken auf ein Ziel konzentrieren kann? Sicher haben Sie ähnliche Erfahrungen bei Ihrer schriftstellerischen Arbeit gemacht. Sie sitzen da, haben alle Zeit der Welt, und jungfräulich weiße Seiten liegen makellos vor Ihnen. Weil es aber keinen Grund gibt, sie ausgerechnet an diesem Morgen zu füllen, machen Sie sich zunächst einmal einen weiteren Kaffee oder Sie gehen spazieren oder hören sich eine Radiosendung an. Und eine Woche später sind die Seiten Ihres Notizbuches noch immer unberührt. Die zündende Idee ist Ihnen bis dahin nicht gekommen.
Aber setzen Sie sich eine Frist, und die Dinge verlaufen grundlegend anders. Kaum öffnen Sie Ihr Notizbuch, setzt fieberhafte Aktivität ein. Sie machen sich Sorgen, fühlen sich unglücklich, haben vielleicht sogar Angst. Doch diese Anspannung produziert Ideen. Die Worte schubsen sich geradezu, um auf die Seite zu gelangen.
Etwas Ähnliches geschah mir mit dem Plan, Jenna loszuwerden. Plötzlich nahm ich alles wahr, was um mich herum geschah. Zum ersten Mal im Leben lauschte ich
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