Letzte Ausfahrt Oxford
nicht wirklich auf den Grund gekommen war.
Das Essen war wunderbar gewesen. Unter anderem hatte es in Salatblätter gewickelte, auf einem Sauerampfer- und Korianderbett gedünstete Forellen gegeben. Die Flasche hervorragenden Weins hatte ebenfalls dazu beigetragen, dass sich Kate und Liam in bester Laune auf das Sofa kuschelten. An diesem Abend passte sogar die Musik, obwohl sie sonst oft nicht ganz Kates Geschmack entsprach.
Liam streckte einen langen Arm in rostfarbenem Ärmel nach ihr aus und zog sie näher an sich. »Wir könnten heute einmal früh zu Bett gehen«, schlug er vor.
Sie sagte ihm nicht, dass es für sie durchaus nicht früh war. Er ging oft erst lange nach Mitternacht zu Bett. Aber seit ihrem Streit mit Victor Southam hatte sie ein dringendes Bedürfnis nach zärtlicher Zuneigung. Sie erzählte Liam, was geschehen war.
»Nun, was hattest du erwartet?«, fragte er mitleidlos. »Dankesbekundungen vielleicht? Natürlich hast du nur deinen Job getan, aber du darfst nicht davon ausgehen, dass deine Opfer dich anschließend in ihr Herz schließen. Dein Problem ist, dass du nicht aussiehst wie jemand vom Sicherheitsteam.«
»Wieso?«
»Weil du weiblich, jung und gut aussehend bist. Das entspricht absolut nicht den Erwartungen.«
»So ein Pech aber auch. Trotzdem werde ich bestimmt nicht wie ein Besen rumlaufen, nur um der Vorstellung der Leute zu entsprechen.«
»Du solltest dir einfach ein dickeres Fell zulegen, wenn du weiter auf Verbrecherjagd gehen willst. Denn dann und wann wirst du dir ein paar Frechheiten anhören müssen.«
»Ich glaube, ich bleibe doch lieber Schriftstellerin.«
»Das wären wir wohl alle gern.« Er gähnte und räkelte sich. »Zeit zum Zähneputzen, Miss Marple.«
Am nächsten Morgen klingelte Kates Wecker um zehn vor fünf, wie üblich. Sie zwang ihre Augenlider auseinander und wünschte, sie hätte vor dem Schlafengehen ein Glas Wasser getrunken. Allmählich wurde ihr klar, dass dieser Tag nicht zu ihren produktivsten gehören würde. Aber weil sie wusste, wie wohltuend ein geregelter Tageslauf sich auswirken konnte, schob sie den unangenehmen Gedanken beiseite. Sie würde trotz allem ihren Computer einschalten. Mutig sprang sie aus dem Bett, rekapitulierte das gerade in Arbeit befindliche Kapitel und war schon halb in Trainingsanzug und Turnschuhen, als ihr Liam einfiel. Er war von dem schnell abgeschalteten Wecker nicht wach geworden. Raumgreifend lag er im Bett, und kaum war sie aufgestanden, nahm er auch noch ihren frei gewordenen Platz ein, wie Männer es eben so tun. Kate spürte einen leichten Ärger aufkeimen, den sie aber sofort wieder unterdrückte. Sie ging ins Bad. Ein Schwall kaltes Wasser im Gesicht würde ihr sicher gut tun. Der Toilettensitz war hochgeklappt. Und wieder ertappte sie sich bei diesem leisen Ärger darüber, wie Liam ihr Haus in Besitz nahm. Sie klappte den Toilettensitz hinunter, ging in die Küche und machte sich einen Kaffee, den sie mit ins Arbeitszimmer nahm. Sie war froh, dass Liam sie vermutlich noch ein bis zwei Stunden in Ruhe lassen würde.
Nach einer Stunde Arbeit an ihrem Buch öffnete sie die Datei mit den Notizen und begann, die Ereignisse des vergangenen Tages aufzuschreiben. Vom Standpunkt der Bücherdiebstähle betrachtet, war es einer der produktivsten Tage überhaupt gewesen, aber Kate erinnerte sich nicht gern an die beschämenden Szenen des Nachmittags.
Zentrum für Nordamerikanische Studien, Kennedy House. Aus der Jugendbuchsammlung wurden Bücher gestohlen, und jemand hat erfolglos versucht, die Einträge zu verändern. Als Schuldiger wurde Victor Southam überführt. Er steht kurz vor der Pensionierung und hegt einen tiefen Hass gegen das elektronische Katalogisieren.
Sie scheute davor zurück, den Streit in der Agatha Street zu beschreiben, und beschloss, es bei der kargen Feststellung zu belassen.
Jenna Coates hat mehrere Monate im Kennedy House gearbeitet. Die gesamte Belegschaft muss sie gekannt haben. Dazu gehören:
Chris Johnston, Direktor. Ein bisschen fad, aber liebenswert. Schien über Jennas Tod sehr betroffen zu sein. Obwohl ich ihn mag, gehört er auf die Liste der Verdächtigen. Er hat die Berechtigung, Einträge zu verändern – und zwar besser als Victor Southam –, genau wie die Bibliothekarin und die Dame, die sich hauptsächlich mit der Erfassung beschäftigt.
Angela Rugby, Bibliothekarin. Sieht aufgeweckt und intelligent aus und ist viel zu beschäftigt für ein
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