Letzte Ausfahrt Oxford
Gesicht. Vermutlich ließ sich seine Vorstellung von Sicherheit nicht unbedingt damit vereinbaren, jeden Abend am Angestellteneingang zu stehen und Mantel- und Einkaufstaschen zu filzen, ganz zu schweigen von den sarkastischen Kommentaren, die er sich dabei anhören müsste.
Nachdem Kieler gegangen war, um dem Sicherheitsteam seinen Report abzuliefern, sagte Chris Johnston: »Machen Sie sich keine allzu großen Sorgen um Victor. Er arbeitet seit Bestehen des Instituts hier und hat sich bisher nie etwas zuschulden kommen lassen. Wir werden ihn vermutlich in den vorgezogenen Ruhestand schicken, denn selbstverständlich wollen wir Gerede und öffentliches Aufsehen vermeiden.« Er lachte bedauernd. »Vor allem sind wir glücklich, wenn wir unsere Nancy Drews zurückbekommen.«
An diesem Abend war Kate froh, als sie das Kennedy Center um halb sechs verlassen und nach Hause gehen konnte. Sie entschloss sich, zu Fuß zu gehen, um den Kopf nach vielen Stunden konzentrierter Computerarbeit wieder freizubekommen. Hinter ihrer Stirn machte sich ein dumpfer Schmerz breit. Der Gedanke an tausend noch zu schreibende Worte erschien ihr nicht besonders verlockend. Sie verspürte noch nicht einmal Lust zu lesen. Als sie in die Agatha Street einbog, sah sie, dass jemand vor ihrer Haustür stand.
»Was ist los?«, fragte sie vom Bürgersteig aus. Ein Mann in einer dunkelgrünen Wachsjacke hämmerte mit dem Knauf seines Regenschirms auf die Haustür ein. Bei ihren Worten drehte er sich um. Es war Victor Southam. Kate starrte die großen, ausgebeulten Taschen seiner Jacke an und ertappte sich dabei, sie sich voller gestohlener Bücher vorzustellen. Mühsam riss sie den Blick los und sah ihm ins Gesicht.
»Sie!«, brüllte er sie an. »Einfach nach Kennedy House zu kommen und überall herumzuschnüffeln! Wer braucht schon jemanden wie Sie? Kein Mensch! Kümmern Sie sich doch um Ihre eigenen Angelegenheiten!« Seine regenschirmfreie Hand hielt einen schweren Backstein umklammert. Mit wildem Blick sah er sich um, als suche er ein lohnendes Ziel. Kate fürchtete um ihre Fensterscheiben und war froh, wenigstens ihren Computer außerhalb der Gefahrenzone zu wissen. Der Anstrich der Eingangstür wies an den Stellen, wo Victor sie bearbeitet hatte, tiefe Schrunden auf.
»Sie haben mein Leben ruiniert!«, schrie er. In seinen Mundwinkeln sammelten sich Speichelbläschen. Er trat einen Schritt auf sie zu. Kate wich aus. »Blöde Wichtigtuerin! Dämliche Kuh! Miststück!« Schmerzhaft stieß er ihr seinen Ellbogen in die Rippen. Das war zwar nicht ganz so schlimm, wie in einem verlassenen Haus angegriffen zu werden, aber es tat dennoch ziemlich weh. Die Wut brach sich in Wellen Bahn aus dem alten Mann und stürmte auf sie ein wie Brecher auf einen Felsen.
Die ersten Vorhänge bewegten sich. Entlang der Straße wurde man aufmerksam. Fieberhaft überlegte Kate, wie sie Victor loswerden konnte, ohne allzu viel Lärm zu schlagen. Der alte Mann ließ sie nicht aus den Augen, während er auf ihr Auto zuschlurfte.
»Ist das Ihres?« Er bearbeitete den Wagen mit seinem Regenschirm. Ein Stück Lack platzte ab. Weil Kate keine Antwort gab, ging er zum Auto von Familie Krötengesicht weiter, einem gepflegten weißen Ford Escort. »Oder dieses hier vielleicht?« Er hob die Hand mit dem Backstein und visierte die glänzende Windschutzscheibe an.
»Nein!«, rief sie. Victors Regenschirmspitze war dem polierten Lack schon gefährlich nah. Als er ihren entsetzten Gesichtsausdruck wahrnahm, hob er beide Hände zu einem machtvollen Doppelangriff.
»Heda! Hände weg von der Karre!« Es war Harley auf seinem Skateboard, dicht gefolgt von Shayla und Klein-Krötengesicht. Er legte eine beachtliche Geschwindigkeit vor und erwischte Victor Southam genau am Schienbein. Sein runder Kopf prallte mitten in den Brustkorb des alten Mannes. Kate stöhnte mitfühlend auf. Die beiden landeten ineinander verkeilt auf dem Bürgersteig. Zwar hieb Southam mit seinem Regenschirm immer noch bedrohlich in der Luft herum, aber wenigstens kollerte der Backstein außer Reichweite. Einen Augenblick lang war nur noch das Geräusch der Rollen von Harleys umgekipptem Skateboard zu hören, die sich sirrend in der Luft drehten. Kate überlegte, ob sie den Krötengesichtern zu Hilfe eilen sollte, aber Victor schien sich der Überzahl sowieso beugen zu müssen.
»Scheißkinder! Das zahle ich euch heim!«, polterte er. Die kleine Shayla im rosa Rüschenkleid hämmerte mit ihren
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