Letzte Ausfahrt Oxford
Fäusten auf Victors Ohren ein. Klein-Krötengesicht hatte sich der Hand mit dem Regenschirm bemächtigt und seine Zähne darin vergraben.
»Mistkerl«, schrie Shayla, »was zum Teufel hast du mit unserem Auto vor? Wenn mein Dad dich erwischt, hängt er dich auf. Und bestimmt nicht am Hals.«
Victor Southam hatte sich inzwischen so weit aufgerappelt, dass er auf den Knien lag. Allerdings geriet er auf diese Weise in die Reichweite von Shaylas Lackschühchen, die gnadenlos auf ihn eintraten. Harley packte den alten Mann bei den Haaren, während Klein-Krötengesicht ihn immer wieder mit seinem Tretauto rammte.
Es dauerte einige Minuten, ehe Victor Southam die Kinder abschütteln konnte und wieder auf die Füße kam.
»Sie gehen jetzt besser«, sagte Kate zu ihm. »Ich habe nur meine Arbeit getan. Sie können nicht mir die Schuld in die Schuhe schieben, wenn Sie sich beim Bücherdiebstahl erwischen lassen.« Sie registrierte, dass Victor den Vorwurf nicht abstritt. »Und kommen Sie besser nicht wieder. Ich versichere Ihnen, ich habe noch mehr Freunde in der Nachbarschaft.«
»Sie vergeuden Ihre Zeit«, antwortete Southam verbittert. »Im Institut geht noch viel Schlimmeres vor. Sie haben ja nicht einmal angefangen, dem wirklichen Verbrechen auf die Spur zu kommen. Sie und dieser Dummkopf Kieler, Sie haben nicht die geringste Ahnung!« Die hektische Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Nur zwei feuerrote Flecke brannten noch auf seinen Wangenknochen und hoben sich von der grauen Haut ab. Er hob die Arme, als wolle er sie segnen. Seine eindringliche Sprechweise berührte Kate viel tiefer als das wütende Gebrüll zuvor. »Es geht um diese Computerfreaks. Sie haben nichts anderes im Kopf, als Kosten einzusparen. Geld eben. Wir Alten werden einfach beiseite geschoben. Wir, die wir die Bücher noch liebten. Wir kümmerten uns wirklich. Wir haben unser ganzes Leben der Sorgfalt und Gelehrsamkeit gewidmet. Aber dann kamen sie. Sie kamen mit ihrer neumodischen Arbeitsweise, ihrem englischen Kauderwelsch, ihrer Geschwindigkeitsbesessenheit und ihren Fristen. Ihnen fehlt jedes Gefühl für Moral, und sie haben keinerlei Respekt vor Menschen und Traditionen. Sie übernehmen alles. Sämtliche Abteilungen, alle Bibliotheken – vor nichts machen sie Halt. Was bleibt denn noch? Kein Wunder, dass gestohlen wird – oder Schlimmeres passiert. Gehen Sie zurück zu Ihren Romanen, Kate Ivory. Dort ist es sicherer. Und wenigstens richteten Sie keinen Schaden an, als Sie noch geschrieben haben.«
Er richtete sich auf. Trotz der Staubschicht auf seinen Knien und dem ins Gesicht hängenden schütteren Haarschopf strahlte er eine Würde aus, die Kate nie zuvor an ihm gesehen hatte. Die Kinder hatten sich ein Stück zurückgezogen. Sie starrten ihn ehrfürchtig an und hörten schweigend zu.
»Sehen Sie sich doch an, welche Machtstrukturen Sie sich in diesem Bibliothekssystem geschaffen haben«, fuhr er fort. »Sie finden es vielleicht witzig, wenn Bibliothekare sich gegenseitig um die Vorherrschaft bekämpfen. Aber denken Sie einmal nach, wie hoch die Budgets sind und wie viel Geld durch die Hände dieser Leute geht. Dann sehen Sie die Sache anders. Bücher erfassen mag zwar eine langweilige Sache sein, aber für diese Computerleute ist es eine Art, Verantwortung zu übernehmen. Bald werden sie sämtliche Bibliotheken führen. Sie werden entscheiden, wofür Geld ausgegeben wird. Andere haben dann nichts mehr zu sagen.«
Langsam drehte er sich um und ging in Richtung Stadtzentrum davon. Die Krötengesicht-Kinder standen mit hängenden Armen da und blickten ihm nach. Plötzlich drehte er sich noch einmal um. Ohne auf die Kinder zu achten, wandte er sich an Kate.
»Wenn Sie eines Tages herausfinden, was da passiert ist, werden Sie mehr als ein paar Kinder zu Ihrem Schutz brauchen«, sagte er. »Dann geht es wirklich zur Sache, Kate Ivory, das verspreche ich Ihnen.«
»Wichser!«, schrie Shayla ihm nach, als er um die Ecke bog, aber ihrer Beleidigung fehlte es an der früheren Überzeugungskraft.
»Jetzt reicht’s«, erklärte Kate. Sie schämte sich für das, was geschehen war. »Trotzdem danke für eure Hilfe. Habt ihr Lust auf ein Eis?« Sie fühlte sich, als ob sie selbst eines brauchen könnte – oder vielleicht einen ordentlichen Whisky. Detektive in Kriminalromanen fühlten sich nie so, nachdem sie einen Fall gelöst hatten. Sie schien irgendetwas falsch zu machen. Aber vielleicht lag es auch daran, dass sie dem Geheimnis noch
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