Letzte Ausfahrt Oxford
das? Ferien in Kalifornien sind doch sicher reizvoller als ein Folksong-Wochenende der christlichen Bibliothekarsgemeinschaft in einer Jugendherberge. Aber genau genommen hat das nichts mit unserem Problem zu tun.«
Kate hielt es nicht für nötig, ihn über ihr Gespräch mit Paul in Kenntnis zu setzen. Auch nicht über die Schlüsse, die sie daraus gezogen hatte.
»Aber sie hat ihren Freundinnen Postkarten geschickt. Eine davon ist gerade wieder aufgetaucht. Sie war an eine Mitpraktikantin in der Bodleian adressiert. Offensichtlich hielten die beiden ihren Kontakt hauptsächlich per E-Mail, daher wusste niemand von ihrer Freundschaft.«
»Wie traurig.«
»Mach dich nicht immer lustig.« Er schwieg einen Augenblick, während die Kellnerin servierte. »Danke sehr, das englisch Gebratene ist für mich. Meine Bekannte bevorzugt die Schuhsohlenvariante.«
»Rosa ist nicht gleich Schuhsohle. Ach übrigens: Weißt du eigentlich, dass der Ärmel deines hübschen dunklen Jacketts von oben bis unten voller Sägemehl ist? Und außerdem habe ich grundsätzlich etwas dagegen, dass du dich an meinen Pommes frites bedienst, während ich mit dir rede.«
»Mensch, bist du kleinlich. Wie dem auch sei, sieh dir das hier einmal an.«
»Liebe Iz«, las Kate, »hier ist es wirklich toll. Aber du errätst nie, wen ich heute Morgen beim Betreten einer der Bibliotheken auf dem Campus von Santa Luisa gesehen habe! Er sah richtig gut aus. Entspannt und ganz und gar nicht oxfordlike. Erst dachte ich, ich hätte mich geirrt, aber dann bin ich ihm nachgegangen und ertappte ihn beim Durchforsten des Katalogs. Anscheinend kann er nicht einmal in den Ferien die Finger von diesen Dingen lassen. Allmählich drängt sich ein Zusammenhang wirklich auf. Ich muss unbedingt wissen, was er hier macht. Mist, jetzt habe ich keinen Platz mehr. Bis nächste Woche, dann reden wir. Küsschen, Jenna.«
»Also, ich glaube, das Fehlen der Nancy-Drews-Bände, das du entdeckt hast, liefert noch nicht die ganze Begründung. Ich fürchte, du musst die Augen weiter für Unstimmigkeiten offen halten. Vielleicht mit amerikanischer Unterstützung.«
»Weißt du, um was es in meinem derzeitigen Buch geht, Andrew?«
»Ich habe nicht den leisesten Schimmer.«
»Danke für dein Interesse. Nun, es spielt in Kalifornien. Und zwar zur Zeit des Goldrauschs. Es geht um …«
»Wirklich faszinierend. Aber ich verstehe nicht, was das mit unserem Fall zu tun haben soll.«
»Ich müsste eigentlich dringend für ein paar Recherchen nach Kalifornien reisen, genauer: nach San Francisco. Ich muss wissen, wie es dort aussieht, wie es riecht …«
»Ach, meinst du die zeitgenössischen Autos? Den Dieselgestank, die Gas- und Elektroleitungen des einundzwanzigsten Jahrhunderts …?«
»Sei nicht immer so negativ. Die Hügel sind immer noch die gleichen, das Meer auch und … na ja, vielleicht auch die Art des Lichts. Ich sollte das alles in mich aufnehmen. Es würde mir den Hintergrund für meine Geschichte liefern. Außerdem könnte ich die Kosten von der Steuer absetzen.«
»Welche Kosten?« Andrews Stimme konnte sehr scharf klingen, wenn er es darauf anlegte. »Du willst doch nicht etwa fünfhundert Pfund auf den Tisch legen, nur um ein paar Sätze über die Qualität des Lichtes in San Francisco zu schreiben! Ich kann mir kaum vorstellen, dass ein Finanzbeamter Verständnis für so etwas hätte. Wie kommst du darauf, dass du nach Kalifornien fahren solltest?«
»Ich will wissen, was Jenna dort gemacht hat. Ich möchte die Leute treffen, die sie getroffen hat, und vielleicht herausfinden, wer der Bibliothekar aus Oxford war, dem sie dort über den Weg gelaufen ist.«
»Wenn du nicht aufpasst, wirst du auch noch umgebracht.«
»Oh, Mann, hör doch auf, dich wie ein altes Weib aufzuführen. Das Problem ist doch, dass du nur wissen willst, wer welche Bücher gestohlen hat; ich aber will Jennas Mörder finden.«
»Warum?«
»Weil …« Sie hielt inne. »Weil Menschen wichtiger sind als Bücher«, fuhr sie schließlich langsam fort. »Ich will wissen, was ihr passiert ist. Ihre Geschichte vervollständigen, wenn du so willst. Bis jetzt kenne ich höchstens drei oder vier Kapitel. Der Rest sind leere Seiten. So unbestimmt sollte niemandes Leben enden.« Sie konnte nicht erklären, dass sie Jennas Spur durch die Bibliotheken nicht mehr verlassen konnte, nachdem sie sie einmal aufgenommen hatte. Und die kalifornische Seite der Geschichte war wichtig, dessen war sie ganz
Weitere Kostenlose Bücher