Letzte Ausfahrt Oxford
dem ersten Stock herab. Ich trug meinen neuen, dunkelgrünen Overall. Die Haare hatte ich unter einem Hut verborgen. Für einen zufälligen Beobachter wäre ich vermutlich fast unsichtbar gewesen. Durch die Büsche hindurch schlängelte ich mich zur Rückseite des Gebäudes. Hier lehnte sich das Haus an die Flanke des Hügels, und die Fenster waren klein und undurchsichtig. Wahrscheinlich hatte man auf dieser Seite die Sanitärräume und die Küche untergebracht. Auf einer kleinen Veranda an der Hintertür stand ein Stiefelkratzer; die Leute hatten Wanderschuhe, Gummistiefel und nasse Anoraks draußen gelassen.
Plötzlich hörte ich Schritte, die sich aus dem Haus näherten. Eilig zog ich mich ins Gebüsch zurück.
Ich musste bis Sonntag warten, um meinen Plan in die Tat umzusetzen – aber ich wusste jetzt, was ich zu tun hatte.
Am Sonntagnachmittag verbarg ich mich erneut im dicken, dunklen Buschwerk des Gartens und beobachtete die Hintertür der Jugendherberge. Mein Auto stand ein gutes Stück weiter entfernt außer Sicht.
Die jungen Leute waren nach dem Mittagessen zu einem Spaziergang aufgebrochen. Jetzt hörte ich sie zurückkommen. Sie sangen eines von ihren edelmütigen Liedern. Ihre Wanderschuhe knirschten auf dem Schotterweg. Sie kümmerten sich nur um sich selbst, hatten keinen Blick für ihre Umgebung. Ich stand ganz still und beobachtete sie.
Sie betraten das Gebäude durch die Hintertür, und genau wie ich erwartet hatte, ließen sie ihre Wanderschuhe vor der Tür und hängten ihre Anoraks an die dafür vorgesehenen Haken. Als Kind war bestimmt keiner von ihnen mit schmutzigen Schuhen über den Teppich gelaufen oder hatte seine Sachen einfach auf dem Boden herumliegen lassen und erwartet, dass die Eltern hinter ihm herräumten. Es hatte sich gelohnt, Jennas Verhalten unter die Lupe zu nehmen: Nie hätte ich etwas anderes von ihr oder ihren Freunden erwartet.
Die jungen Leute gingen ins Haus. Ich hörte sie die Treppe hinaufpoltern. Wahrscheinlich packten sie ihre Sachen zusammen und würden bald zum Bahnhof aufbrechen. Sie erinnern sich – der Bahnhof war etwa zwei Meilen entfernt, und sie wollten den Zug um kurz nach sechs, also in etwa einer Stunde, erwischen.
Als niemand mehr draußen war, tauchte ich aus meinem Versteck auf und schlich mich zur Veranda. Ich hatte beobachtet, wo Jenna ihre Wanderschuhe abgestellt hatte, und wusste ungefähr, wo sie sich befinden mussten. Aber das liebe Mädchen erleichterte mir mein Vorhaben zusätzlich dadurch, dass sie mit dickem schwarzem Stift ihren Namen COATES innen in die Manschette geschrieben hatte. Es war eine Sache von Sekundenbruchteilen, sie zu packen und mich mit ihnen in mein Buschwerk zurückzuziehen.
Etwa eine Viertelstunde später tauchten die jungen Leute mit Rucksäcken beladen wieder auf und bemächtigten sich ihrer Schuhe und Anoraks. Es verging höchstens eine Minute, ehe ich eine laute, wohl bekannte Stimme vernahm: »Hat einer von euch meine Schuhe gesehen? Ich weiß genau, dass ich sie hier draußen gelassen habe. Schließlich wollte ich keinen Schmutz ins Haus tragen.«
Oh ja, das war Jenna. Andere Stimmen ließen sich auf halbherzige Wortgeplänkel ein. Die armen Kerle hatten Jenna zweieinhalb Tage ertragen müssen und waren sicher nicht darauf erpicht, ihren Zug nach Oxford zu verpassen, nur weil Jenna ihre Schuhe an einem Ort vermutete, wo sie sich ganz offensichtlich nicht befanden.
Nach knapp zehn Minuten entfernten sich Schritte und Stimmen: Die jungen Leute würden wacker ausschreiten müssen, um den Bahnhof noch rechtzeitig zu erreichen. Nur Jenna lief noch immer draußen auf und ab. Sie spähte um jede Ecke, während ich mich tiefer in mein Gestrüpp zurückzog. Schließlich verschwand sie im Haus. Ich hörte ihren unverkennbar schweren Schritt Treppen hinauf- und Korridore entlangdröhnen. Das Haus klang jetzt leerer als zuvor. Die anderen befanden sich inzwischen auf dem Weg zum Bahnhof. Ab und zu klang noch eine Stimme herüber: »Los Jenna. Du hast sie bestimmt schon eingepackt. Wenn du dich nicht eilst, verpasst du den Zug.« Ich hoffte und betete, dass die gute alte Jenna ihren Wanderschuhen einen noch höheren Stellenwert einräumte als ihrem Lexikon. Ich wartete weiter. Die Zeit wurde mir lang. Immer noch hörte ich ihre schweren Tritte und ihre laute Stimme in der Jugendherberge. Ich sah auf die Uhr. Inzwischen hätte sie eine weltrekordverdächtige Geschwindigkeit vorlegen müssen, um den Zug noch zu
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