Letzte Ausfahrt Oxford
einmal konsultierte sie ihre Liste. Sie musste mit Marty Preston und Susie Holbech sprechen, beide im Kennedy House. Sie konnte also am nächsten Vormittag zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Dann könnte sie sogar noch in der Bodleian bei Ian Maltby vorbeischauen und seine Postkarte aus Kalifornien lesen. Zufrieden mit ihrer Planung, widmete sie sich noch ein oder zwei Stunden ihrem Buch, ehe sie zu Bett ging. Zu ihrer eigenen Überraschung hatte sie ihren Schnitt von tausend Worten am Tag trotz aller Ablenkungen bisher durchhalten können.
Inzwischen hatte Kate ihren Frankenstein ausgelesen und suchte nach einem leichten Lesestoff vor dem Einschlafen. Da fielen ihr die Manuskripte ein, die Emma ihr zur Beurteilung überlassen hatte. Aus einem nagelneuen Aktenordner namens Schreibkurs entnahm sie die sorgfältig gehefteten Papierstapel, kuschelte sich unter ihre Decke, lehnte die Schultern gegen einen dicken Kissenberg und begann zu lesen.
Mein Nachbar hat dafür gesorgt , dass ich Ehre einlegen konnte . Die Pfingstrosen sind von einer so unglaublichen Farbe , dass man sie eigentlich nur mit einem dieser lebendigen Namen wie Heliotrop , Indigo , Magenta , Lavendel oder Purpur bezeichnen könnte . Einfach nur Rosa , die Farbe von Pudding oder Damenschlüpfern , würde ihrer Pracht nicht gerecht werden . Ich wähle eine einzelne Blüte , die ich auf den gewölbten Deckel des Sargs fallen lasse . Der Blütenkopf zerbirst , als er auf poliertes Mahagoni trifft . Blütenblätter rutschen über die glänzende Oberfläche , und bleiben wie kleine flehende Hände liegen .
An den unteren Rand der Seite hatte er das Wort Ende getippt und seinen Namen und das Datum hinzugefügt. Vivian Moffatt stand da. Vivian Moffatt . Da war sie um die halbe Welt gereist, um ihn zu finden, und er hatte hier in Emmas Schreibkurs auf sie gewartet.
Es war reiner Zufall, dass sie gerade diese Hausarbeit gelesen hatte, denn Emma hatte sie bereits korrigiert und ihre Kommentare (positiv und ermutigend, höchstens ein wenig konstruktive Kritik) mit rotem Tintenstift am unteren Seitenrand festgehalten. Was hatte Emma noch über diesen Mann gesagt? Er konnte nur schreiben, wenn er ein Pseudonym benutzte. Sie benötigte also unbedingt zwei Dinge, nämlich seinen Namen und seine Adresse. Kate sah auf die Uhr. Es war zu spät, Emma jetzt noch anzurufen, aber gleich morgen Früh würde sie genau das als Allererstes tun. Und dann würde sie dieses unordentliche Haus nötigenfalls vom Keller bis zum Dach auf den Kopf stellen, um die restlichen Manuskripte des Schreibkurses aufzutreiben.
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Kurze Bemerkung über Elstern
W er behauptet, Elstern seien schwarz und weiß, der irrt sich. Je nach Lichteinfall schimmern die Federn metallisch grün wie ein Pfauenschwanz. Schwarze Lügen, weiße Wahrheit; weiße Lügen, schwarze Wahrheit – oder irisierend schimmerndes, metallisches Grün im flirrenden Sonnenlicht. Das muss jeder selbst entscheiden.
Wünschen Sie sich nicht manchmal, Sie könnten fliegen? Einen langen Schwanz als Ruder benutzen? Insekten entdecken, sie im Zickzack fliegend verfolgen und sie mit weit geöffnetem Schnabel im freien Flug erbeuten? Flug, Jagd und Tod; die Gesamtheit meiner Lebensträume.
Ich liebe große Höhen. Ich liebe es, über einem Abgrund zu stehen. Ich liebe es, zu wissen, dass ich jeden Augenblick nachgeben und aufgeben könnte, dass es mir möglich wäre, einige Sekunden lang in der Leere zu treiben und wie ein Vogel zu fliegen, um schließlich in Schmerz, Blut und Tod zu enden. Ist das Selbstkontrolle? Ist es der Wunsch, meine Überlegenheit über diejenigen zu demonstrieren, die beim Blick ins Leere nur Furcht verspüren? Was auch immer der Grund sein mag, ich arbeite gern hier oben auf der Galerie. Ich steige gern bis unter das Dach des Hauses, ich sitze gern mit dem Kopf in der Nähe der Wolken und den Füßen nur einen Schritt von der gähnenden Leere und dem Beton tief unter mir entfernt. Meine Gedanken fliegen zur anderen Seite der Galerie.
Durch die gläsernen Wände kann ich bis mitten ins Herz von Oxford sehen. Baumwipfel erstrecken sich unter mir wie eine Wiese, durch die sich nur die Kirchtürme in den Himmel bohren. Das alles gehört mir. Es ist mein Eigentum. Ich spiele den letzten Satz der Symphonie und lasse Hammerschläge niederkrachen. An diesem Ort bin ich Meister dieser Stadt, und niemand kann mich besiegen.
Jenseits des Springbrunnens unten im Innenhof befindet sich eine äußerst
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