Letzte Ausfahrt Oxford
auf seiner Spur befand. Sie nahm den Hörer ab und wählte eine Nummer.
Etwa eine Stunde später fuhr ein metallicblauer Wagen vor Kates Haus vor. Er glänzte vor Sauberkeit, die Chromteile blitzten und blinkten, und auf der Windschutzscheibe klebte nicht eine einzige tote Fliege. Der Fahrer betätigte den Blinker und parkte das Auto in einer einzigen, weichen Kurve rückwärts ein. Eine Handbreit von der Bordsteinkante entfernt blieb es genau parallel zu ihr stehen. Die Parklücke war so winzig, dass Kate trotz Harleys Lektion sicher den halben Morgen gebraucht hätte, um ihren Wagen hineinzubekommen. Sie kannte nur einen einzigen Menschen, der zu so etwas fähig war, und ging, ihm die Tür zu öffnen.
»Hallo Paul.«
Er sah sie nicht an, denn er führte gerade eine offensichtlich höfliche Unterhaltung mit Klein-Krötengesicht. Sie fragte gar nicht erst, ob er dem Kind ein Gesicht geschnitten hatte: Wahrscheinlich wäre es ihm sowieso nicht aufgefallen.
»Ein interessant aussehendes Kind«, erklärte er auf dem Weg ins Wohnzimmer.
»Hmpf«, sagte sie. »Darf ich Ihnen einen Kaffee oder ein Mineralwasser anbieten?« Jemanden wie Paul konnte man zu dieser morgendlichen Stunde sicher nicht mit dem verlockenden Rest bulgarischen Rotweins beglücken.
»Danke. Es darf ruhig Pulverkaffee sein. Bitte mit Milch und drei Stück Zucker.«
Als der Kaffee fertig war, konnte sie nicht mehr anders, als die Neuigkeiten hervorzusprudeln.
»Ich habe ihn gefunden«, sagte sie.
»Wen gefunden?«
»Unseren Mörder. Den Mann mit den Pfingstrosen.«
»Ach ja?«
Warum klang er nicht begeisterter? »Sehen Sie sich das an.« Sie drückte ihm Vivian Moffatts Manuskript in die Hand. »Hier, gegen Ende. Zuerst kommt die Stelle, wo er ins Theater geht. Na ja, so wie er es beschreibt, war es wohl eher eine Pantomime. Und danach beschreibt er die Beerdigung, wo er die Blumen auf den Sarg wirft. Lesen Sie es, Paul.«
Er las langsam und ohne sichtbare Reaktion. »Ja. Also, Sie sagen, das ist eine Übung aus dem Schreibkurs. Genauso klingt es auch. Es ist für den Lehrer geschrieben. Frei erfunden.«
»Aber ganz bestimmt nicht alles.«
»Lügen. Zumindest das meiste davon«, sagte Paul. »Sind Sie jemals als Kind in einem solchen Theaterstück gewesen? Ich glaube nicht daran, außer, es handelt sich um einen Mann von vielleicht siebzig oder achtzig Jahren. Und wieso hatten diese merkwürdigen Frauen die Pflegschaft? So etwas hätte das Sozialamt doch nie und nimmer gestattet. Und dann diese komische Art, Blumen zu stehlen und zu einer Beerdigung zu gehen – so etwas passiert nicht im wirklichen Leben. Und …«
»Schon gut, was schließen Sie also daraus?«
»Erzählen Sie mir doch bitte, wo Sie im Covered Market Pferdefleisch für Katzen kaufen können.«
»Na ja, ein paar Dinge sind vielleicht erfunden.«
»Nein, Kate, die ganze Geschichte ist es. Sie verbringen so viel Zeit damit, Geschichten zu erfinden, dass Sie den Unterschied zwischen Fantasie und Realität nicht mehr sehen. Ich gehe jede Wette ein, dieser Vivian Moffatt ist irgendein armer alter Knabe, wahrscheinlich mit einer Schreckschraube von Frau verheiratet und kann sich nur einmal die Woche in seinen Schreibkurs davonstehlen. Genau genommen ist die Geschichte sogar ziemlich dünn.«
»Sie haben eben keine Fantasie.«
»Na, Gott sei Dank.«
»Gestern Abend hat es bei Emma Dolby einen Einbruch gegeben. Der Ordner mit Vivian Moffatts Adresse ist verschwunden. Vermutlich werden Sie mir sagen, das sei reiner Zufall.«
»Hört sich zumindest so an.«
»Wir hoch stehen die Chancen, dass man den Einbrecher findet?«
»Haben Sie eine Vorstellung davon, wie viele Einbrüche es in den letzten vierundzwanzig Stunden in Oxford gegeben hat? Und dieser da war noch nicht einmal besonders wichtig. Keine Wertgegenstände gestohlen, niemand verletzt. Ich bin sicher, die Kollegen nehmen es auf, aber …«
»Aber genau genommen ist es allen scheißegal.«
»Ich mag es nicht, wenn Sie so sprechen.«
»Dafür mag ich es nicht, wenn Sie mich nicht ernst nehmen. Warum sind Sie gekommen?«
Paul hatte seinen Kaffee ausgetrunken. Er nahm Tasse und Untertasse, stapelte sie auf Kates, trug sie in die Küche und stellte sie ordentlich ins Spülbecken. »Als Sie anriefen, hatte ich gerade Dienstschluss. Da dachte ich, ich komme einfach mal vorbei und sehe nach, ob es Ihnen gut geht.«
»Es geht mir gut. Meine Nachforschungen gestalten sich zu meiner vollen Zufriedenheit. Und
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