Letzte Bootsfahrt
geschossen haben, und sie lag am Ende hier irgendwo verletzt oder gar tot im Wald, machte ihn ganz wahnsinnig. Auf und ab hetzte er, links und rechts, kreuz und quer, ständig nach ihr rufend. Nach wenigen Minuten war er völlig am Ende, sein Herz schlug wie verrückt, er hatte das Gefühl, sich kaum mehr auf den Beinen halten zu können. Er stolperte ein paar weitere Schritte talwärts, sein rechter Fuß verfing sich in einer Wurzel, Gasperlmaier schlug der Länge nach hin. Ein Stich durchfuhr sein linkes Knie. Ausgerechnet das Knie, das schon einmal bei einem Einsatz einiges abbekommen hatte. Der Schmerz raste durch Gasperlmaiers ganzen Körper, sein Kopf lag zwischen Moos, Farnen und Spinnweben. Die Dienstmütze hatte sich verabschiedet und lag wohl außer Sichtweite. Noch einmal schrie er: „Frau Doktor!“, schließlich sogar „Renate!“, doch niemand antwortete. Helfen hatte er wollen, die Frau Doktor vor dem Angreifer retten, und nun lag er selbst da, mitten im Wald, sein Bein wollte ihm nicht mehr gehorchen, und er selbst war es, der dringend Hilfe brauchte.
Gasperlmaier versuchte sich aufzusetzen. Dazu musste er sich aber zunächst so drehen, dass sein Oberkörper nicht hangabwärts lag. Mühsam zog er sich mit den Händen nach oben, die Finger in die Moospolster verkrallt. Die Beine ließ er langsam talwärts rutschen. Das Knie schmerzte bei der Bewegung, aber nicht mehr ganz so sehr wie zuvor. Schnaufend richtete er den Oberkörper auf und stellte fest, dass seine Uniform über und über voll Dreck und an manchen Stellen zerrissen war. Besonders übel hatte es die Hose erwischt, die hing an beiden Beinen in Fetzen. Gasperlmaier zog sich mit den Armen noch ein wenig weiter hangaufwärts, sodass die Beine nun ausgestreckt waren. Der Schmerz ließ nach. Vorsichtig griff er mit der Hand nach dem lädierten Knie und drückte zuerst ganz vorsichtig, danach fester daran herum. Weder nahm er eine Schwellung wahr, noch spürte er heftigere Schmerzen. Aufzustehen wagte er trotzdem nicht, stattdessen konzentrierte er sich darauf, ob irgendwo in seiner Umgebung etwas zu hören oder zu sehen war. Das Regenwasser tropfte von den Bäumen und in seinen Nacken, doch das war ihm jetzt egal. Nass bis auf die Haut war er ohnehin schon. Die Bäume knarrten und ächzten im Wind, doch sonst war nichts zu hören. Wie weit mochte er von der Ruine Pflindsberg entfernt sein? So sehr er sich auch anstrengte, er konnte keine Stimmen von dort oben hören. Obwohl sich dort in der Zwischenzeit ja eine Menge Leute angesammelt haben mussten, die nach ihm, der Frau Doktor und dem Angreifer suchten. Ob der Angreifer wirklich der Loisl gewesen war? Er hatte die Stimme ja nicht erkennen können. Dazu war ihm auch alles viel zu schnell gegangen. Und den Pauli hatte er vor lauter Eile nicht mehr gefragt. Plötzlich spürte er einen dumpfen Schlag gegen seinen Schädel, und bei Gasperlmaier gingen die Lichter aus.
Rot sah er, feuerrot. Ob er schon in der Hölle gelandet war? Dort war ja alles rot, feurig und siedend heiß. Und heiß war ihm, sein Gesicht brannte. Wo kam nur all das Rot her? Etwas strich über sein Gesicht. Rot. „Gasperlmaier!“, hörte er rufen. „Gasperlmaier!“ Rief der Teufel nach ihm? So hörte es sich eigentlich nicht an. Eher besorgt. Rot. Aber nicht nur. Rot. Zwei Brüste. Rot eingefasst. War er in den Himmel gekommen? „So ist es gut. Augen aufmachen! Offen lassen! Nicht wieder einschlafen!“ Ganz deutlich konnte Gasperlmaier die Stimme jetzt hören. Die des Teufels war es sicher nicht. Blonde Haare schälten sich aus dem Nebel. Eine Frau. Über ihn gebeugt. Im roten Raddress. Und der Reißverschluss war zu weit offen. Gasperlmaier war nicht im Himmel. Er stöhnte. Er war nass. Alles tat weh, besonders sein Kopf. „Na also! Ich hab mir schon solche Sorgen gemacht um Sie!“ Die Kollegin. Die, von der Gasperlmaier bisher nur den Hintern und den blonden Pferdeschwanz wahrgenommen hatte.
„Hier, Kollegen! Hier herunten! Ich hab ihn! Es geht ihm gut!“ Das blonde Raddress hatte so laut geschrien, dass sich Gasperlmaiers Kopf anfühlte, als wäre drinnen das gesamte Läutwerk einer Kathedrale in Bewegung gesetzt worden. Er stöhnte, griff sich an den Kopf und sank wieder ins nasse Laub. „Leiser!“, stöhnte er. „Mein Kopf!“ „Ist ja schon gut!“, beruhigte ihn das rote Raddress. Es beugte sich über ihn, und die Brüste kamen seinem Gesicht gefährlich nahe, als sie ihn wieder aufrichtete. Alles war
Weitere Kostenlose Bücher