Letzte Bootsfahrt
offensichtlich.
Gasperlmaier nahm seinen Becher zur Hand, blies vorsichtig darüber und nahm einen Schluck. Nun ging es schon. „Haben Sie eigentlich gesehen, was da unten passiert ist?“, fragte er. Die Frau Doktor schlug die Beine übereinander. Ihre Jeans hatten den Dornen und dem Unterholz im Wald sichtlich besser standgehalten als seine Uniformhose. „Er hat den Herrn Lukas am Hals gepackt und geschüttelt. Ich wollte noch ein paar Sekunden abwarten, weil er ja, wieder einmal, keine Waffe bei sich gehabt hat“, sagte sie. „Und da ist schon das Kind aufgetaucht. Wie ich unten war, hab ich noch einen schwarzen Schatten verschwinden gesehen und in die Luft geschossen, damit er stehenbleibt. Den Gefallen hat er mir aber nicht getan.“ Die Frau Doktor seufzte und nahm ebenfalls einen Schluck. „Ich bin mir fast sicher, dass es der Alois Voglreiter war. Allerdings war er maskiert, mit so einer schwarzen Sturmhaube, wie man sie unter dem Helm trägt. Der Herr Lukas behauptet, er hätte weder Mann noch Stimme erkannt.“ Die Frau Doktor seufzte. „Schließlich hält sich der Alois seit gestern verborgen, das macht ihn schon äußerst verdächtig. Nur das Motiv macht mir nach wie vor Kopfzerbrechen.“
„Ich hab die Stimme auch nicht erkannt“, sagte Gasperlmaier. „Das war so ein heiseres Zischen. Aber erinnern Sie sich? Der Pauli hat geschrien, er sei es nicht gewesen, der Michl Schwaiger hätt’s getan. Was hat er denn da gemeint?“ Die Frau Doktor seufzte ebenfalls. „Der Lukas Pauli, der redet nicht. Wir hätten uns verhört, sagt er, er hätte so was nicht gesagt.“
Gasperlmaier trank seinen Tee aus und starrte in den leeren Becher. Seine dumpfen Kopfschmerzen waren nicht gerade besser geworden, aber der Schwindel war weg, und die Landschaft vor ihm schlug auch keine Wellen mehr. Er versuchte sich daran zu erinnern, was zu seiner Bewusstlosigkeit geführt hatte, aber es wollte nicht aus den Tiefen seines Gedächtnisses heraufsteigen. „Ich kann mich nicht erinnern“, sagte er, „woher ich die Beule auf dem Hinterkopf habe. Ich bin bergab gerannt, kreuz und quer, und ich habe nach Ihnen gerufen. Aber wie komme ich zu einer Verletzung am Hinterkopf? Wenn ich gestürzt bin, bin ich doch nach vorne gefallen, oder?“ „Lassen Sie mich mal sehen, Gasperlmaier“, sagte die Frau Doktor, drückte seinen Oberkörper und seinen Kopf nach vorne und betastete die Beule. Gasperlmaier stöhnte auf. „Nicht wehleidig sein!“, ermahnte ihn die Frau Doktor. „Die Haut ist nur leicht angeritzt“, sagte sie, „aber ein paar kleine Holzsplitter sind da. Sind Sie am Ende doch gegen einen Baum gerannt?“ „Mit dem Hinterkopf voraus?“, fragte Gasperlmaier ungläubig zurück. Irgendetwas in seinem Kopf sagte ihm, dass er von hinten von irgendetwas getroffen worden war. Aber es war noch zu unscharf. Er hoffte, er würde sich bald wieder an alles erinnern.
Die Frau Doktor stand auf. „Auf jeden Fall bringen wir Sie zunächst einmal ins Krankenhaus. Dann werden wir den Herrn Lukas weitergrillen. Es darf einfach nicht sein, dass er uns in der jetzigen Situation etwas verschweigt. Und dann läuft natürlich die Fahndung nach dem Alois Voglreiter auf Hochtouren.“ „Der Loisl“, fiel Gasperlmaier plötzlich ein, „der kann es gar nicht gewesen sein. Der war ja beim Begräbnis seiner Mutter, als der Breitwieser umgebracht worden ist.“ Die Frau Doktor legte ihren Kopf in die gespreizten Finger ihrer rechten Hand. „Kann sein, kann aber auch nicht sein. Wenn er nur einmal eine halbe Stunde weg war …“ Gasperlmaier erinnerte sich dumpf, dass ihn die Frau des Loisl, die Bruni, während des Leichenschmauses einmal ziemlich in Beschlag genommen und ununterbrochen geredet hatte. Da war der Loisl nicht am Tisch gesessen. Aber, so dachte er bei sich, der war halt gerade aufs Klo gegangen oder hatte vor der Haustür eine Zigarette geraucht, weil man in der Gaststube ja nicht mehr rauchen durfte.
„Ins Krankenhaus brauch ich aber jedenfalls nicht!“, widersprach Gasperlmaier. „Wegen den paar Kratzern!“ Die Frau Doktor drehte sich zu ihm um und drohte ihm mit dem Zeigefinger. „Jetzt benehmen Sie sich einmal vernünftig! Sie waren bewusstlos! Da müssen Sie zum Durchchecken ins Krankenhaus!“ Gasperlmaier erinnerte sich noch mit Schrecken daran, wie er beim letzten Anlass völlig ahnungslos als Besucher ins Krankenhaus gefahren und mit einer Halskrause wieder herausgekommen war. „Bringen S’ mich
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