Letzte Bootsfahrt
„einkaufen. Ist bereits überprüft, stimmt. Muss allerdings nicht zwingend heißen, dass sie genau zur Tatzeit außer Haus war. Laut Gerichtsmediziner könnte er auch schon getötet worden sein, bevor sie weggegangen ist.“
Gasperlmaier stand auf und füllte sich beim Waschbecken ein Glas mit Wasser. Er hatte plötzlich fürchterlichen Durst. Ob energetisiert oder nicht, er stürzte das Glas in einem Zug hinunter. „Geht’s Ihnen nicht gut?“ Die Frau Doktor hielt in ihren Erklärungen inne. Was die Frauen heute nur alle hatten? Warum sollte es ihm nicht gut gehen? Durfte man nicht einmal mehr ein Glas Wasser trinken, ohne zum Pflegefall erklärt zu werden?
Gasperlmaier behielt seine Gedanken, wie üblich, für sich, murmelte Unverständliches und ließ sich wieder nieder. „Der Gasperlmaier hat einen anstrengenden Nachmittag hinter sich!“, grinste der Friedrich. „Er war nämlich mit seiner Mutter auf einer Beerdigung. Die Voglreiter Friedl ist gestorben. Eine Freundin von der Gasperlmaierin.“ „Wegen den paar Seideln!“, verteidigte sich Gasperlmaier, doch die Frau Doktor schien gar nicht richtig hingehört zu haben und fuhr in ihrem Vortrag fort, indem sie ein drittes Foto an die Pinnwand heftete. „Roswitha Schnabel. Tochter der beiden.“ Wieder stieß der Zeigefinger energisch gegen die Fotos der beiden Eltern. „Führt jetzt das Immobilienbüro. Wie schon erwähnt, Villa in Grundlsee. Teuer, erworben von Ferdinand Breitwieser vor etwa zwanzig Jahren. Nachweislich war die Frau Schnabel zum Zeitpunkt des Mordes in ihrem Büro in Grundlsee, zumindest nach der Aussage einer Mitarbeiterin. Ihr Mann, von dem habe ich noch kein Foto.“
„Da gibt es doch einen Schnabel, da im Supermarkt in Bad Aussee, da heißt der Filialleiter Schnabel“, fiel Gasperlmaier ein. „Richtig“, fügte die Frau Doktor hinzu. „Gerfried Schnabel, besitzt selbst kein nennenswertes Vermögen, Einzelhandelskaufmann. Wurde Filialleiter, nachdem er Roswitha Breitwieser geheiratet hat.“ Gasperlmaier begann sich langsam zu wundern. Während er bloß nach seiner Mutter gesehen und geduscht hatte, hatten die in Liezen all das herausgefunden? Entweder hatten sie dort ein ganzes Heer von Beamten für die Recherche, oder die waren wirklich schneller und cleverer als der Friedrich und er hier in Altaussee. „Das ist allerdings alles, was ich derzeit zum Stand der Ermittlungen sagen kann.“ Direkt froh war Gasperlmaier, dass sie ihnen nun nicht gleich auch noch den Mörder auf dem Tablett servierte und sie nur noch bat, hinzufahren und ihn abzuholen.
„Was heute unbedingt noch sein muss: Tatortbegehung, Einvernahme der Frau Breitwieser, Einvernahme der Ehegatten Schnabel. Vorläufig alle natürlich nur als Zeugen, wir sind keinesfalls so weit, einen oder mehrere von ihnen als Beschuldigte zu betrachten. Bitte, meine Herren!“ Die Frau Doktor schnappte nach ihrer Handtasche und war schon bei der Tür. Gasperlmaier fiel auf, dass sie heute ganz in Lindgrün auftrat: vom Kostüm über die Handtasche bis zu den Schuhen, alles in derselben Farbe. Von ihrer Vorliebe für Kostüme wusste Gasperlmaier schon von den vergangenen Ermittlungen, allerdings hatte sich die Frau Doktor vor nicht allzu langer Zeit ein Paar ihrer Stöckelschuhe, die sie offenbar in allen Farben besaß, gründlich ruiniert, als sie über einen schotterigen Abhang hatte klettern müssen, um eine Leiche in Augenschein zu nehmen. Das Ausseerland war halt nicht überall leicht mit Stöckelschuhen begehbar, da war es schon vernünftig, wenn man festes Schuhwerk zumindest im Kofferraum hatte. Allerdings, so erinnerte sich Gasperlmaier, gingen die Ansichten über „festes Schuhwerk“ je nach Geschlecht und Alter oft weit auseinander. Seine Tochter, die Katharina, war voriges Jahr von ihrer Sportlehrerin angewiesen worden, für die Projektwoche „feste Schuhe“ einzupacken. Als Gasperlmaier darauf bestanden hatte, dass damit solide Wanderschuhe gemeint seien, hatte es eine tränenreiche Szene gegeben. Die Katharina hatte ihnen heulend leuchtorange Leinenpatschen hingehalten, gemeint, alle trügen die, und wenn man sie zu Wanderschuhen zwänge, dann zerstöre man ihr Leben, weil sie sich für alle Zeiten lächerlich mache. Geendet hatte das Ganze mit einer bitterbösen Beschwerde der Turnlehrerin, die den Eltern schriftlich mitteilte, dass die halbe Klasse mangels fester Schuhe stundenlang mit Leinenpatschen durch Eis, Schnee und Matsch habe laufen müssen.
Weitere Kostenlose Bücher