Letzte Bootsfahrt
Provisorien hatten eben oft ein langes Leben.
Das Windspiel, so stellte er fest, bestand aus Bambusröhren, die in ihrer unteren Hälfte spitz zugeschnitten worden waren. Oben waren die einzelnen Röhren mit Schnitzereien verziert. Als ein Windstoß durch das Gebilde fuhr, war der Klang, das musste Gasperlmaier zugeben, bei weitem angenehmer als der seiner Haustürklingel. Womöglich hatte es mit diesem Feng Shui doch etwas auf sich.
Die Tür öffnete sich knarrend, worauf eine blonde Frau in weißem Anzug sichtbar wurde, die die Frau Doktor und ihn anstrahlte. „Herzlich willkommen im erleuchteten Kreis Avalon!“, gurrte sie in einem Tonfall, als hätten Gasperlmaier und die Frau Doktor einen Lottosechser gewonnen. Mit Jackpot. Gasperlmaier trat hinter der Frau Doktor in die Toreinfahrt. „Was kann ich für Sie beide tun?“, strahlte die Frau weiter und war sich nicht zu blöd, die Hände vor der Brust wie im Gebet zusammenzulegen. Die Hände schütteln, so fiel Gasperlmaier auf, wollte sie ihnen offensichtlich ebenso wenig wie die Frau Breitwieser.
„Wir sind von der Polizei.“ Die Frau Doktor atmete hörbar tief aus. „Und wir möchten Sie fragen, was Sie uns über eine Frau Gerlinde Breitwieser aus Altaussee sagen können. Sie scheint sich, unseren Informationen zufolge, öfters in Ihrem Kreis aufgehalten zu haben.“ Die weiße Frau knipste ihr Strahlen so plötzlich aus, als hätte sie einen Schalter umgelegt. Am Ende, so dachte Gasperlmaier bei sich, war sie nichts anderes als ein Roboter. Er glaubte, sich zu erinnern, so etwas schon einmal in einem Film gesehen zu haben.
„Dazu kann ich Ihnen gar nichts sagen. Ich kenne auch keine Frau Breitwieser. Wir reden uns hier mit unseren erleuchteten Namen an.“ „Das glaube ich nicht.“ Die Frau Doktor setzte ein ebenso gewinnendes Lächeln auf wie das, das die Dame gerade ausgeknipst hatte. „Die Kursteilnehmer zahlen hier ja schließlich. Und ich glaube nicht, dass Ihre Buchhaltung mit den erleuchteten Namen wirklich viel anfangen kann. Am allerwenigsten das Finanzamt.“ Die Dame bemühte sich, so fand Gasperlmaier, ein wenig von ihrem Lächeln zurückzubekommen, scheiterte aber. „Sie können sich natürlich gerne über unsere Angebote informieren.“ Dabei wies sie auf eine Art Rezeption, hinter der sich ein Regal mit zahlreichen Werbefoldern befand.
„So!“, sagte die Frau Doktor. „Und wir reden jetzt einmal Klartext. Ich bin wegen einer Mordermittlung hier. Und Sie sagen mir zunächst einmal Ihren Namen. Den nicht erleuchteten, wenn ich bitten darf. Und dann bringen Sie mich zu jemandem, der irgendeine Entscheidungsbefugnis hat. Und wenn das nicht klappt, dann stehen hier innerhalb der nächsten zwei Stunden ein Dutzend Polizeiautos vor der Tür, und wir werden Ihren Laden wegen Behinderung behördlicher Ermittlungen in alle Einzelteile zerlegen!“ Die Frau Doktor hatte gar nicht schreien müssen, dennoch war ihr entschlossenes Auftreten auf fruchtbaren Boden gefallen. Mit einigermaßen eingefrorener Miene sagte die zuvor noch strahlende weiße Frau: „Kommen Sie mit.“ Gasperlmaier fiel auf, dass ihm die Frau plötzlich viel älter vorkam als noch am Eingang. Was Lächeln doch ausmachen konnte. Er nahm sich vor, in Zukunft immer freundlich in die Welt zu blicken.
Sie wurden durch einen Hof geleitet, in dem allerlei An- und Einbauten, offenbar nicht immer ganz sachgerecht und einem einheitlichen Plan folgend, angebracht worden waren. An verschiedenen Leinen flatterten bunte Fähnchen im Wind, und aus einigen Fenstern schallten Gasperlmaier fremdartige Töne entgegen, die er schwer zuordnen konnte. Kamen sie von Instrumenten, von Tonkonserven oder am Ende vom durch die Räume streichenden Luftzug? Außer der weißen Frau bekam Gasperlmaier allerdings niemanden zu Gesicht, bis sie in einen großen, kühlen Raum traten. Gasperlmaier sah sich um. Außer einem Holzboden, Lampen und Kerzenhaltern war der Raum fast leer. Auf dem Boden lagen einige Teppiche in knallbunten Farben, und an einer Wand gab es einen gewaltigen offenen Kamin mit einer Glasscheibe davor. Eingeheizt war, trotz der recht kühlen Temperaturen, nicht. Gasperlmaier fröstelte.
„Bitte warten Sie hier“, sagte die Dame frostig. „Ich werde die erleuchtete Meisterin holen.“ Sie verschwand hinter dem Kamin, der anscheinend nicht direkt an die Wand angebaut war, sondern hinter sich eine Tür verbarg. „Wo sind wir denn da hingeraten, Gasperlmaier?“ Die Frau Doktor
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