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Letzte Bootsfahrt

Titel: Letzte Bootsfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Dutzler
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natürlich seine Blicke, die nun auch etwas Entrücktes an sich hatten, nicht entgangen. Gasperlmaier löste sich, wenn auch widerwillig, von dem Schauspiel vor dem Fenster. Die Teilnehmer an der Veranstaltung hatten jetzt die Hände in die Hüften gestemmt und waren offenbar dabei, tief ein- und auszuatmen. Was sich dabei hob und senkte, hätte Gasperlmaier gern länger verfolgt.
    „Frau …“, begann nun die Frau Doktor neuerlich, nach einem ärgerlichen Seitenblick zu Gasperlmaier hin, doch es gelang ihr nicht, der Dame den Namen zu entlocken. Die lächelte weiterhin ungerührt vor sich hin. „Wissen Sie was?“, sagte die Frau Doktor nun, „Sie geben mir jetzt einfach eine Liste der hier wohnhaften und beschäftigten Mitglieder Ihrer Gemeinschaft. Wenn Sie das nicht wollen, bin ich in zwei Stunden wieder mit einem Durchsuchungsbefehl da. Ich lass mich doch von Ihnen nicht …“ Gasperlmaier staunte, dass auch die Frau Doktor gelegentlich Sätze unvollständig ließ. Ein Blick aus dem Fenster genügte, um ihm klarzumachen, welches Wort der Frau Doktor auf der Zunge gelegen hatte.
    Die erleuchtete Meisterin erhob sich und nickte. Sie begab sich wieder hinter den Kamin, diesmal aber folgten ihr die Frau Doktor und Gasperlmaier auf dem Fuße. Sie betraten ein durchaus irdisch wirkendes Büro mit Schreibtischen, PC s und Ablageschränken. Die Möbel und Geräte, fand Gasperlmaier, sahen nicht gerade billig, dafür aber sehr neu aus. Man musste einiges damit verdienen können, wenn man zu Erleuchtende nackt in einer Wiese herumhüpfen ließ. Die erleuchtete Meisterin zog eine Klarsichthülle aus einem Aktenordner, entnahm ihr ein paar Blätter und legte sie in den Kopierer. Nach wenigen Sekunden überreichte sie der Frau Doktor wortlos einige Listen. „Ich danke Ihnen!“, sagte diese nun charmant und ließ sich sogar ein Lächeln entlocken. Damit, überlegte Gasperlmaier, wollte sie der erleuchteten Meisterin wohl zeigen, dass sie auf diesem Baum am längeren Ast saß.
    „Puh!“, schnaubte die Frau Doktor, als sie wieder vor dem Tor mit den Windspielen standen. „Ich habe Ihnen ja gesagt: Businessmäßig sind diese Sekten harte Nüsse. Da kommst du ohne Drohen nicht weiter.“ Sie schwang die Blätter in der Hand. „Wenigstens haben wir, was wir brauchen.“ „Wie heißt denn die erleuchtete Meisterin wirklich?“, fragte Gasperlmaier neugierig und versuchte, einen Blick auf die Listen zu werfen. Die Frau Doktor blätterte sie durch. „Ah, hier: Wenn sie die Geschäftsführerin ist, dann heißt sie Dötzlhofer. Conrada Dötzlhofer.“ Gasperlmaier konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Kein Wunder bei diesem Namen, dachte er bei sich, dass sie sich als erleuchtete Meisterin bezeichnen ließ. Der Name Dötzlhofer klang in seinen Ohren bodenständig und simpel, und diesen Eindruck wollte die erleuchtete Meisterin wohl um jeden Preis vermeiden.
    Auf dem Weg zum Auto kamen sie an einer weiteren Gruppe vorbei, die auf einer Wiese im Kreis stand. Diesmal allerdings waren die Teilnehmer bekleidet, wenn auch seltsam. Die Männer, so schien Gasperlmaier, bevorzugten sackartige Hemdblusen und schlotternde weiße und hellgraue Hosen, die Frauen waren in weite, bunte Kleider gehüllt, die nichts, aber auch gar nichts von ihrer Figur verrieten. „Da haben Ihnen die Nackten schon besser gefallen, was, Gasperlmaier? Wie wär’s, machen wir auch einmal so ein Seminar, dass wir sozusagen undercover etwas über diese seltsame Bruderschaft herausfinden?“ Gasperlmaier wehrte sich mit entrüstetem Schnaufen. Worte oder gar Sätze zu formulieren, gelang ihm nicht, sah er doch vor seinem geistigen Auge sich selbst und die Frau Doktor unbekleidet in der Wiese stehen, mit je einem Blumenkranz auf dem Kopf. Seltsamerweise dachte er an Narzissen, obwohl deren Zeit noch lange nicht gekommen war. Die Narzissen waren es allerdings nicht, worauf er sein geistiges Auge gerichtet hatte. Ihm schoss die Röte in die Ohren wie ins Gesicht, er zog den Kopf ein und marschierte, ohne sich nach der Frau Doktor umzusehen, auf das Auto zu. „Zentriert euch! Findet eure Mitte!“, rief hinter ihm die Übungsleiterin der Gruppe. Ja, so dachte Gasperlmaier bei sich, das würde ihm auch gut tun. Seine Mitte finden, zur Ruhe kommen, und sich nicht mit letzten Endes doch nur belastenden Phantasien herumquälen.
    Im Auto überreichte die Frau Doktor ihm die Listen. „Schauen Sie doch einmal durch, ob Ihnen irgendwas auffällt!“, ermunterte

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