Letzte Bootsfahrt
erstaunt. Ein dunkles Rinnsal zog sich von ihrem inneren Augenwinkel an der Nase entlang Richtung Mund. Anscheinend war ihr Lidschatten zerlaufen. „Nein“, sagte die Frau Doktor, „wir sind in der Mordsache Breitwieser hier. Ferdinand Breitwieser ist vorgestern ermordet worden, davon müssen Sie ja gehört haben. Die Gerlinde, von der Sie gesprochen haben, ist das die Frau Breitwieser aus Altaussee?“ Die Frau Dunkl nickte. „Natürlich hab ich davon gehört. Die arme Gerlinde! Mit dem Mord hab ich aber nichts zu tun. Das müssen Sie mir glauben.“ Gasperlmaier stöhnte innerlich auf. Hatte die Frau Dunkl noch nie Krimis gesehen? Das war der Satz, den in jedem Fernsehkrimi alle Verdächtigen mindestens einmal sagen durften. Offenbar schrieb ein Drehbuchautor vom anderen gerade die schwächsten Dialoge ab. „Glauben“, so antwortete die Frau Doktor auch, „müssen wir gar nichts. Erzählen Sie uns lieber mehr über die zwanzigtausend Euro.“
Die Frau Dunkl blickte ängstlich zwischen der Frau Doktor und Gasperlmaier hin und her. „Und Sie wollen mich wirklich nicht wegen dem Geld verhaften? Ich hab nämlich eine Tochter zu Hause, und ich bin alleinerziehend.“ „Gar keine Rede“, beruhigte sie die Frau Doktor. „Und wenn Sie Geld erhalten und lediglich weitergegeben haben, brauchen Sie sich nicht einmal vor einer Anzeige zu fürchten.“ „Die Gerlinde ist manchmal unberechenbar“, seufzte die Frau Dunkl. „Ich hätte ihr zugetraut, dass sie behauptet, ich hätte das Geld gestohlen. Oder dass sie sich vor ihrer Tochter nicht zuzugeben traut, dass sie es mir gegeben hat. Ich habe die ganzen Tage schon so ein schlechtes Gewissen gehabt. Ich hab wirklich geglaubt, Sie wollen mich verhaften.“ Die Frau Doktor schüttelte den Kopf. „Aber bitte erzählen Sie uns jetzt Näheres über das Geld.“ „Ich habe von der Gerlinde, also von der Frau Breitwieser, zwanzigtausend Euro für den Avalon-Kreis bekommen. Die erleuchtete Meisterin ermutigt uns ja ständig, dass wir unsere irdischen Güter aufgeben und dem Kreis überlassen sollen, um uns zu befreien. Und anscheinend hat die Frau Breitwieser irgendwie zwanzigtausend Euro aufgetrieben.“ „Haben Sie sie nicht gefragt, woher das Geld stammt?“, fragte die Frau Doktor. Die Frau Dunkl schüttelte den Kopf. „Nein. Jeder hat doch gewusst, dass die Breitwiesers viel Geld haben, wegen dem Immobilienbüro und so. Da hab ich mir gedacht, sie wird halt irgendein Sparbuch aufgelöst haben.“
Gasperlmaier fand, dass die Frau Dunkl gar nicht zum erleuchteten Kreis Avalon passte. Sie sah viel zu bodenständig, zu normal aus für diesen Verein. Und auch das entrückte Leuchten in den Augen und das salbungsvolle Geschwafel fehlten, das ihm bei den beiden Frauen im Bauernhof des erleuchteten Kreises aufgefallen war. „Warum hat sie denn das Geld nicht selber zur Frau Dötzlhofer gebracht?“ „Dötzlhofer?“, fragte die Frau Dunkl nach, „wer soll denn das sein?“ „Die erleuchtete Meisterin heißt in Wirklichkeit Conrada Dötzlhofer“, klärte die Frau Doktor sie auf. „Dötzlhofer!“, wiederholte die Frau Dunkl ungläubig und schüttelte den Kopf. „Ihr Mann, hat sie behauptet, lässt sie nicht. Sie kann das Geld nicht selbst hinbringen, hat sie gemeint, damit es ihrem Mann und ihrer Tochter nicht auffällt.“ Die Frau Dunkl wischte mit dem Taschentuch die Reste der Tränen unter ihren Augen weg und verschmierte dabei das dunkle Rinnsal. Jetzt sah sie fast aus, als hätte ihr jemand ein blaues Auge geschlagen. „Sie hat übrigens gesagt, dass sie noch mehr Geld für den erleuchteten Kreis hat. Aber sie wollte es so nach und nach spenden.“ „Sagen Sie, Frau Dunkl, geben Sie dem erleuchteten Kreis auch Geld? Das kann ja nicht so einfach sein, mit dem Job hier, und einer Tochter.“ „Das nicht. Aber ich leiste dafür meinen Beitrag, indem ich für den Kreis arbeite.“ Plötzlich, so fand Gasperlmaier, trat doch ein wenig von diesem gewissen Leuchten in die Augen der Frau Dunkl. „Ich mache Alpin-Veda-Behandlungen. Und Namaka-Pani-Massagen.“ „Alpin-Veda?“, fragte die Frau Doktor nach, augenscheinlich ein wenig belustigt. Nun schien die Frau Dunkl in ihrem Element. Sie unterstrich ihren Vortrag durch äußerst lebendige Gesten und Kopfbewegungen. Außerdem sprach sie viel lauter und deutlicher als zuvor. „Das habe ich selber erfunden. Eine Kombination von Ayurveda und traditionellen alpinen Heilverfahren, wie zum Beispiel Heubädern.
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