Letzte Bootsfahrt
atmosphärisch zumindest in den Orient entführten, wenn nicht noch viel weiter weg.
„Warten Sie hier“, sagte die Dame vor einer unscheinbaren Holztür. „Ich denke ja gar nicht daran!“, antwortete die Frau Doktor, riss die Tür auf und drang entschlossen in den Raum vor. Gasperlmaier folgte ihr. Drinnen waren die Sphärenklänge noch lauter wahrzunehmen als draußen auf dem Gang. In dem Raum lag eine nackte Frau auf einer Liege, während eine zweite im weißen Anzug ihren Rücken mit irgendeiner Flüssigkeit beträufelte und eine dritte damit beschäftigt war, ihr Steine auf die beträufelten Stellen zu legen. Obwohl die Frau auf dem Bauch lag, war sie nicht entspannt genug, um nicht laut aufzukreischen, als sie ihren Kopf wandte und Gasperlmaiers ansichtig wurde. „Ein Handtuch, schnell, ein Handtuch!“, schrie sie, und es dauerte auch nur Sekunden, bis die Frau mit den Steinen eines herbeigeschafft und über den ausladenden Hintern der nackten Dame gelegt hatte.
„Wo ist jetzt die erleuchtete Meisterin?“, fragte die Frau Doktor angesichts der Szene, die sich ihr bot, etwas verblüfft. „Kommen Sie bitte weiter. Schnell!“ Die Empfangsdame, nun mit steinerner, fast verbissener Miene, öffnete eine Tür zu ihrer Linken und betrat einen Raum, in dem mehrere Menschen auf dem Boden saßen und einander anschwiegen. Mitten im Kreis der Menschen saß, kerzengerade und aufrecht, die erleuchtete Meisterin Dötzlhofer. Die wandte den Kopf den Eindringlingen zu. „Wie können Sie es wagen …“, begann sie lautstark aufzubegehren, doch die Frau Doktor schnitt ihr das Wort ab. „Wie können Sie es wagen, sich von einem Mitglied Ihrer Gemeinschaft zwanzigtausend Euro überreichen zu lassen, ohne einen Beleg dafür auszustellen?“ Einige in der Runde machten große Augen. Großteils waren es Frauen, stellte Gasperlmaier fest, die meisten mittleren Alters. Ein Mann war dabei, hager, mit kurz geschorenem weißem Haar und ebenso weißem Vollbart. Alle hatten sie weiße Kittel und schlotternde, weiße Hosen an, die ihnen, da sie im Schneidersitz dasaßen, nur knapp über die Knie reichten.
Die Frau Dötzlhofer schien sich zu besinnen. Beruhigend redete sie auf ihre Kursteilnehmer ein. „Wir unterbrechen nur ganz kurz. Ich schicke Ihnen sofort eine neue Betreuerin.“ Kurz danach fanden sie sich zu dritt wieder auf dem Gang. „Das war Cupa Rahane Ka, wissen Sie!“, schimpfte die Frau Dötzlhofer im Flüsterton. „Und wenn’s die Kaiserin von China wäre!“, gab die Frau Doktor ungerührt zurück, „Sie legen mir jetzt Ihre Finanzgebarung vor. Vor allem die Spenden, die Sie in den letzten Wochen eingenommen haben. Ich möchte doch zu gern sehen, ob Sie die zwanzigtausend Euro von der Frau Breitwieser ordnungsgemäß verbucht haben.“ Die Frau Dötzlhofer blieb schwer atmend auf dem Gang stehen. „Dazu war noch keine Zeit. Aber bei uns hat alles seine Ordnung!“ „Das glaub ich gern!“, lachte die Frau Doktor. „Vor allem, nachdem wir hier eine gründliche Hausdurchsuchung vorgenommen haben! Zusammen mit dem Finanzamt!“ Die Frau Dötzlhofer versuchte, die Frau Doktor mit ein paar Gesten zu beschwichtigen und dazu zu bringen, nicht so laut zu sprechen. „Abgesehen davon haben wir auch den Verdacht, dass jemand aus Ihrem Kreis für den Mord an Herrn Breitwieser verantwortlich ist!“, flüsterte die Frau Doktor nun so laut, dass man es auch sicher auf dem ganzen Gang hören konnte. „Ihr Kreis muss ja großes Interesse daran gehabt haben, dass die Frau Breitwieser eine ordentliche Erbschaft macht. Und sozusagen per Vorauskassa haben Sie sich gleich einmal zwanzigtausend Euro unter den Nagel gerissen. Überbracht von der Frau Dunkl. Und die rücken Sie jetzt raus! Sofort! Und von mir kriegen Sie sogar einen Beleg dafür! Marsch!“ Das überlegene, süffisante Lächeln, das die Frau Dötzlhofer bei ihrem letzten Besuch bis zum Schluss durchgehalten hatte, war nun wie ausgeknipst. Ängstlich und verunsichert ließ die Meisterin ihre Blicke unstet zwischen der Frau Doktor und Gasperlmaier hin- und herflackern.
„Kommen Sie!“, sagte sie schließlich, und ihre Stimme, so fand Gasperlmaier, hatte viel von der Ruhe und Überlegenheit eingebüßt, die sie bis vor kurzem zur Schau getragen hatte. Gebückt schlich sie vor der Frau Doktor und Gasperlmaier her. In ihrem Büro holte sie eine Kassette aus einer Schublade und öffnete sie mit einem Schlüssel, den sie an einem Band um den Hals trug. Sie
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