Letzte Bootsfahrt
naturbelassen und sehr hübsch, stellte Gasperlmaier fest. Nicht einmal die Haare hatte sie sich gefärbt, und das war bei der heutigen Jugend schon eine erwähnenswerte Ausnahme. Gasperlmaier fand das weißliche Hellblond, das seine Katharina zurzeit trug, abgrundtief hässlich, hatte es aber noch nicht übers Herz gebracht, ihr das zu sagen. „Wenn Sie hier arbeiten würden“, sagte die Verkäuferin leise und zeigte auf den Rock der Frau Doktor, „dann schwöre ich Ihnen, dass es keine drei Tage dauern würde, bis er seine Finger unter Ihrem Rock hat. Und wenn Sie bei irgendeinem Regal auf die Leiter klettern, dann wär er gleich bei Ihnen, um Ihnen zu helfen. Was glauben Sie denn, warum wir alle Hosen anhaben?“ Die Frau Doktor hatte die Augenbrauen in lichte Höhen gezogen. Männer wie der Herr Schnabel gehörten zu ihren bevorzugten Opfern. Der durfte sich warm anziehen, dachte Gasperlmaier, wenn auch nur der kleinste Hauch eines Verdachts auf ihn fallen würde. „Haben Sie vorgestern am Nachmittag gearbeitet?“, fragte die Frau Doktor. Die Verkäuferin nickte. „War er da die ganze Zeit im Geschäft?“ Das Mädchen zischte nun noch verächtlicher als zuvor. „Der? Jede halbe Stunde heißt es, ‚Ich bin dann einmal kurz weg!‘ Er muss angeblich in Geschäften dahin und dorthin, aber in Wirklichkeit geht er dauernd auf einen Kaffee zum Lewandofski oder auf ein Bier. Am Nachmittag eigentlich nur mehr auf ein Bier. Ich hab keine Ahnung, wann er da war und wann nicht.“ Die Frau Doktor pfiff durch die Zähne. „Kein Alibi!“, raunte sie Gasperlmaier zu. „Wie kann denn so einer Filialleiter werden?“, fragte sie noch. „Der?“, zischte die Verkäuferin, und Gasperlmaier fragte sich, ob es möglich war, noch mehr Verachtung in einen Artikel zu legen. „Der ist doch hier nur Filialleiter, weil dem Alten, der umgebracht worden ist, das Haus da gehört! Sonst hätten sie den doch nie genommen, den Versager!“ Die Frau Doktor legte den Finger auf den Mund, denn das Mädchen hatte so laut gesprochen, dass man sie eventuell sogar draußen bei der Wursttheke hören konnte.
Das Büro der Frau Schnabel machte ordentlich was her, dachte Gasperlmaier bei sich. Kein Vergleich mit dem Polizeiposten. Massivholzmöbel in warmen, goldblonden Tönen dominierten den Raum. Die beiden Schreibtische sahen sehr aufgeräumt aus. Hinter den Tischen eröffnete sich die Aussicht auf den Grundlsee. „Schön haben Sie’s hier!“, sagte die Frau Doktor, nachdem sie die Frau Schnabel begrüßt hatte. „Das ist meine Mitarbeiterin, Frau Reichl.“ Gasperlmaier schüttelte der Frau Reichl die Hand, und das nicht ungern. Sie sah aus wie ein Model aus einem Trachtenmodenkatalog und war ein klein wenig größer als er, Gasperlmaier, selbst. Er warf einen Blick nach unten und stellte fest, dass sie das hohen Absätzen verdankte, die, wie er fand, nicht recht zu einem Dirndl passten. Dennoch war er von ihrer Erscheinung beeindruckt, noch dazu, wo sie ihn so gewinnend anlächelte. Gasperlmaiers Herz begann zu schmelzen. „Man muss den Kunden schon eine entspannte, angenehme Atmosphäre bieten“, sagte die Frau Schnabel, „schließlich geht es hier oft um eine Entscheidung für einen ganzen Lebensabschnitt und um sehr viel Geld. Das kann man nicht so zwischen Tür und Angel abwickeln.“
Die Frau Schnabel bot ihnen beiden Platz an. „Frau Schnabel, wir möchten gerne unter vier Augen mit Ihnen reden. Ist das möglich?“ Die Frau Reichl nickte und räumte unaufgefordert ihren Platz, ohne ihr Lächeln auszuknipsen. Irgendwo, dachte Gasperlmaier, musste sie das gelernt haben, so professionell zu lächeln. „Es geht um die dreihunderttausend Euro, die der Herr Holzig angeblich Ihrem Vater gegeben hat. Damit der für ihn wegen einer Baugenehmigung tätig wird. Wir gehen davon aus, dass der Herr Holzig die Wahrheit sagt, er hat keinen Grund, uns in dieser Angelegenheit anzulügen.“ Die Frau Schnabel nickte. Sie trug eine weiße Bluse und hatte wieder ziemlich teuer aussehenden Schmuck um den Hals hängen. Er bemühte sich, seine Blicke nicht tiefer rutschen zu lassen. „Gerade eben haben wir Ihrer Mutter zwanzigtausend Euro zurückgebracht, die sie dem Avalon-Kreis hat überbringen lassen. Wir gehen davon aus, dass Ihre Mutter die zwanzigtausend von dem Geld genommen hat, das vom Herrn Holzig stammt.“
Jetzt seufzte die Frau Schnabel und sah zum Fenster hinaus auf den Grundlsee, der hinter Regenschleiern nun mehr zu
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