Letzte Bootsfahrt
sie, nahm Gasperlmaiers Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger und schüttelte es ein wenig hin und her. „Sie sind ja ein Lieber, oder?“ Sie ließ sein Kinn wieder los und Gasperlmaier völlig verdattert zurück. Zum Glück kam die Frau Doktor in diesem Moment aus dem Büro.
„Haben wir uns gut mit der Miss Salzkammergut unterhalten?“, fragte sie, als sie losfuhren. Ein wenig spitz, wie Gasperlmaier fand. Er war sich nicht ganz sicher, ob die Frau Doktor noch sehen hatte können, wie sich die Frau Reichl sein Kinn geschnappt hatte. „Ich hab sie über den Herrn Schnabel befragt!“, gab Gasperlmaier entrüstet zurück. Warum musste ihm die Frau Doktor immer wieder unlautere Motive unterschieben, was seine Kontakte mit Frauen betraf? Er war ein wenig verärgert. „Ich werde Sie jetzt rausschmeißen, Gasperlmaier.“ Das hatte ihm gerade noch gefehlt. So schlimm war das mit der Frau Reichl ja nun auch nicht gewesen. Und immerhin hatte er zusätzliche Informationen, den Charakter des Herrn Schnabel betreffend, gewonnen. Wie konnte sie nur so ekelhaft sein?
Die Frau Doktor lachte. „Schauen Sie nicht so entsetzt, Gasperlmaier, ich hab’s doch nicht wörtlich gemeint! Ich treff mich jetzt mit dem Bürgermeister, und da ist es gescheiter, wenn Sie nicht dabei sind. Er ist ja schließlich auch bei der Feuerwehr, und was weiß ich, bei wie vielen Vereinen Sie gemeinsam im Vorstand sitzen. Der ist sicher lockerer, wenn ich allein komme.“ Gasperlmaier musste innerlich zustimmen, blieb aber stumm. Wahrscheinlich war es wirklich gescheiter, wenn die Frau Doktor das allein machte, denn er wollte über die düsteren Geschäfte, die da in der Gemeinde abliefen, wirklich nichts wissen. Einmal hatte man ihn ja sogar gefragt, ob er nicht für den Gemeinderat kandidieren wolle, aber er hatte nur abgewinkt. Das war so ziemlich das Schlimmste, was er sich vorstellen konnte, dass man mit ein paar Hitzköpfen von miteinander verfeindeten Parteien darüber streiten durfte, ob der Kindergarten neu ausgemalt oder lieber der Parkplatz des Fußballplatzes asphaltiert werden sollte. Nein danke, nicht mit ihm.
„Können Sie mich bei meiner Mutter aussteigen lassen?“, fragte er, einer plötzlichen Eingebung folgend. „Wenn Sie mir sagen, wo sie wohnt?“ Gasperlmaier fühlte sich verpflichtet, nach dem gestrigen Vorfall nach seiner Mutter zu sehen. Er musste doch überprüfen, ob sie das Abenteuer mit dem Herrn Doktor Schwaiger unbeschadet überstanden hatte.
8
„Mama!“ Nachdem mehrmaliges Klingeln nichts geholfen hatte, war Gasperlmaier rund ums Haus gegangen und hatte sich aufs Rufen verlegt. „Mama! Bist du zu Hause?“ Nirgends rührte sich etwas, und das kam Gasperlmaier komisch vor. Er holte den Haustürschlüssel heraus und öffnete sich selbst die Tür. Sogleich strich der Kater seiner Mutter um seine Beine und maunzte. Von ihr selbst war aber nirgends etwas zu sehen oder zu hören. Gasperlmaier konnte sich nicht daran erinnern, dass seine Mutter ihn darüber informiert hatte, dass sie fort wollte. Und es war ungewöhnlich, dass sie so spät abends, nach fünf, noch nicht zu Hause war. Gretl Gasperlmaier hielt sich an einen sehr regelmäßigen Tages- und Wochenablauf. So wusch sie zum Beispiel die Wäsche immer noch am Montagmorgen um sieben Uhr, weil sie das immer so gemacht hatte. Und Einkäufe machte sie grundsätzlich am Vormittag, nachmittags war sie zu Hause. Wenn sie nicht gerade eine Freundin besuchte. Seit die Voglreiter Friedl tot war, hatte sie allerdings einen Grund weniger, am Nachmittag aus dem Haus zu gehen. Wochentags um diese Zeit erwartete Gasperlmaier deshalb, sie zu Hause vorzufinden.
Er warf einen Blick in die penibel aufgeräumte Stube. Keine Mutter. Gasperlmaier wurde nervös. In der Küche standen zwei benutzte Kaffeegedecke herum. Das war mehr als seltsam. Die Mutter ließ grundsätzlich benutztes Geschirr niemals stehen, sondern wusch es sofort nach Gebrauch ab und verstaute es wieder in den entsprechenden Schränken und Schubladen. Fast eine Manie war das bei ihr. Hatte Gasperlmaier ein Glas ausgetrunken, sprang sie sofort auf, um es abzuwaschen und abzutrocknen. Danach kam sie mit einem Lappen, um den feuchten Ring wegzuwischen, den das Glas auf dem Tisch hinterlassen hatte. Manchmal fiel es Gasperlmaier schon richtig schwer, sich bei seiner Mutter wohlzufühlen. Und jetzt das: schmutziges Geschirr in der Küche. Gasperlmaier trat näher. Auf den Tellern waren noch
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