Letzte Bootsfahrt
Kuchenbrösel zu sehen. Er blickte um sich und sah tatsächlich einen angeschnittenen Gugelhupf unter der Kuchenglocke in einer Ecke der Anrichte stehen. Gugelhupf hatte die Mutter normalerweise am Samstag gebacken, und zwar für den Sonntag. Was war nur über sie gekommen, plötzlich mitten unter der Woche Gugelhupf zu backen? Und zu essen? In der Abwasch standen zwei Schnapsstamperln. Gasperlmaier war entsetzt. Er roch an einem davon. Da war eindeutig ein Obstler drin gewesen. Was er hier sah, bestätigte ihn nur in seiner Befürchtung: Das Leben seiner Mutter war offenbar durch den Herrn Doktor Schwaiger völlig aus den Fugen geraten.
Plötzlich hörte Gasperlmaier das Brummen eines Motors in der Hauseinfahrt. Geschwind stellte er das Schnapsstamperl zurück in die Abwasch, holte sich eine Packung Katzenfutter aus der Speis und tat so, als sei er nur hereingekommen, um den Kater zu füttern, als seine Mutter ins Vorhaus trat. Gott sei Dank ohne Begleitung. Das Auto draußen entfernte sich wieder. „Ja Franzl, was machst denn du da? Spionierst mir nach?“ Die Mutter lächelte. Irgendwie, fand Gasperlmaier, sah sie jünger aus. Strahlend fast. Als wäre sie über Nacht ein anderer Mensch geworden. Gasperlmaier schnaubte entrüstet. „Abholen wollte ich dich. Zum Essen. Weil heute ja Freitag ist.“ Eine bessere Ausrede war ihm auf die Schnelle nicht eingefallen. „Ah ja, Freitag. Aber ist denn die Christine nicht übers Wochenende fortgefahren?“ Nun war Gasperlmaier unter Zugzwang. „Ich wollt mit dir ins Gasthaus gehen. Damit du nicht das ganze Wochenende allein bist.“ Gretl Gasperlmaier lachte auf. „Ich war heute gar nicht allein. Und gestern auch nicht. Der Michl hat sich viel Zeit für mich genommen.“ So, so, dachte Gasperlmaier bei sich. Man war also schon per Michl mit dem Herrn Doktor Schwaiger. „Brauchst uns jetzt vielleicht nicht mehr?“, fragte Gasperlmaier, ein wenig trotzig. „Aber geh!“ Die Mama stellte sich vor ihn hin, zog an seinem Kragen und richtete seinen Krawattenknoten. Wie Gasperlmaier das hasste. „Du vergönnst mir doch ein bisschen Freude mit einem alten Schulfreund? Da brauchst doch nicht eifersüchtig sein!“ Doch, dachte Gasperlmaier bei sich, genau das war er. Und er musste mit der Mutter auch darüber reden. Am besten beim Essen. Oder danach. „Gehst jetzt mit uns ins Gasthaus?“ Die Mutter nickte. „Ja freilich. Warum sollte ich eine Einladung ausschlagen?“
Gasperlmaier fingerte sein Handy aus der Brusttasche, um seine Kinder davon zu unterrichten, dass das Abendessen beim Schneiderwirt eingenommen werden würde. „Oder“, fragte er die Katharina, nachdem sie sich gemeldet hatte, „hast du vielleicht schon was gekocht?“ Natürlich hatte sie nicht. „Papa, ich hab auch überhaupt keine Zeit. Und keinen Hunger. Heute haben wir ja Streetdance-Training.“ Weder wusste Gasperlmaier, was Streetdance war, noch hatte er je davon gehört, dass seine Tochter an einem derartigen Training teilnahm. Schon gar nicht am Freitagabend. „Und der Christoph ist bei der Andrea.“ Etwas verärgert beendete Gasperlmaier das Gespräch. Es wäre schon gut gewesen, nicht allein mit seiner Mutter im Wirtshaus zu sitzen, da drohte ihm immer der Gesprächsstoff auszugehen. Aber es war halt nun einmal nicht zu ändern.
„Was nimmst du denn?“, fragte ihn die Mutter, als sie beide ihre Lesebrillen aufgesetzt hatten und die Speisekarte studierten. „Weiß ich noch nicht“, brummte Gasperlmaier. „Tätst du mit mir einen Fisch essen?“, fragte die Mutter. „Mama“, sagte Gasperlmaier ein wenig gereizt, „wenn du einen Fisch willst, dann bestellst du einen Fisch. Das hat doch nichts damit zu tun, was ich mir bestelle.“ Es war immer das Gleiche. Seine Mutter pflegte ihre Wahl davon abhängig zu machen, was die anderen aßen. Niemals bestellte sie sich ein Gericht, das nicht auch ein anderer am Tisch haben wollte. „Dann kommt es am Ende viel früher oder viel später als die anderen Essen, und das mag ich nicht!“, pflegte sie zu jammern, wenn man ihr zur Unabhängigkeit in Speisenfragen riet. Gasperlmaier hatte Lust auf ein Schnitzel, der Fisch reizte ihn überhaupt nicht. Vor allem, wo es kein frisch gefangener Saibling aus dem Altausseer See war, sondern bloß ein Schollenfilet. Natürlich aus der Tiefkühltruhe.
Die Jasmin stellte ein Bier vor Gasperlmaier hin, und einen gespritzten Apfelsaft vor die Mutter. „Bringst mir bitte ein Wienerschnitzel!“, fasste
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