Letzte Bootsfahrt
blickte irritiert zwischen dem Friedrich und der Frau Doktor hin und her. Während die Frau Doktor ihr Weckerl geöffnet hatte und sorgfältig ein regelmäßiges Muster aus Senfstreifen auf die Unterseite drückte, hatte der Friedrich die Hälfte davon schon verdrückt. Gasperlmaier ergriff Verzweiflung und gleichzeitig eine Art milder Zorn. Wollte man ihn hier verschaukeln? Jetzt hatte er die Alternative, entweder zurück zu der lästigen Verkäuferin zu pilgern oder hier hungers zu sterben!
Nach einer viel zu langen Schrecksekunde begann der Friedrich zu lachen, öffnete seine Schublade und holte ein Einwickelpapier aus dem Supermarkt heraus. Als er es zurückschlug, kam ein großes Stück Schweinsbraten im Ganzen zum Vorschein. „Sie hat gesagt, es ist noch zu warm zum Aufschneiden, deswegen hab ich den ganzen genommen. Magst?“, fragte er verschmitzt und holte gleichzeitig sein kleines, aber sehr scharfes Jausenmesser aus der Lade.
Gerade, als die Frau Doktor den letzten Zipfel ihres Mohnflesserls in den Mund gesteckt hatte, begann ihr Handy zu läuten. Läuten, so dachte Gasperlmaier bei sich, war wohl nicht der richtige Ausdruck. Es klang eher so, als habe jemand eine CD mit Opernarien eingelegt und voll aufgedreht. „Super!“ Gasperlmaier bewunderte, wie es der Frau Doktor gelang, trotz vollen Mundes einigermaßen deutlich zu sprechen. „Ihr seid in der Wohnung? Ist die Spurensicherung schon da? Natürlich schauen wir uns das gleich an!“
Die Augen der Frau Doktor blitzten unternehmungslustig, als sie ihr Handy wieder in die Handtasche fallen ließ. „Auf, meine Herren! Die Spurensicherung nimmt gerade das Haus vom Doktor Schwaiger auseinander. Das müssen wir uns anschauen! Es hat sich nämlich bestätigt, dass die Plätte nicht der Tatort war. Er ist bei sich zu Hause umgebracht und erst nachher ins Boot verfrachtet worden.“ Gasperlmaier hatte gerade erst eine dünne Schweinsbratenscheibe heruntergesäbelt und noch nicht einmal Zeit gefunden, das Gurkenglas zu öffnen und die Senftube aufzuschrauben. Hastig schnitt er zwei dicke Scheiben Brot herunter, um sich ein Sandwich zum Mitnehmen herzurichten. Die beiden anderen hatten schließlich auch gejausnet. „Auf, Gasperlmaier!“ Er versuchte geflissentlich, die Frau Doktor zu überhören.
Wie immer, wenn man versucht, mehrere Dinge gleichzeitig zu erledigen, ging einiges schief, und Gasperlmaier musste, als er im Auto saß, zunächst einmal den Senffleck von seiner Dienstmütze entfernen, bevor er sein Jausenbrot aß. Aber mit einer Hand, während des Geschüttels im Audi der Frau Doktor, das war unmöglich. Zudem warf sie ihm skeptische Blicke durch den Rückspiegel zu. Sie hatte wohl Angst, Gasperlmaier werde mit seinem hastig zubereiteten Jausenbrot den Rücksitz anpatzen. Die unglücklichen äußeren Umstände führten dazu, dass Gasperlmaier mühsam kauen und würgen musste, um das Brot hinunterzubekommen. Als die Frau Doktor mit quietschenden Reifen anhielt, hatte er wenigstens die Hände wieder frei und nur noch den Mund voll.
Sie hatten vor einem älteren Haus in der Altausseerstraße in Bad Aussee gehalten. Es sah ein wenig heruntergekommen aus, Gasperlmaier vermutete, dass es aus den Fünfzigern, allenfalls aus den Sechzigern stammte. Renoviert war es lange nicht geworden, die Farbe blätterte von den Fensterstöcken ab, und auf dem Dach breiteten sich Moospolster aus. „Das Elternhaus des Ermordeten“, informierte die Frau Doktor Gasperlmaier und den Friedrich. „Ich habe mir gerade alle Informationen darüber schicken lassen. Der Doktor Schwaiger hat es zeitweise vermietet gehabt, aber sich nicht viel darum gekümmert. Wenn er in Aussee war, hat er die Wohnung im ersten Stock bewohnt. Kam aber nicht oft vor. Seltsam, dass er gerade zu einem Begräbnis wieder einmal gekommen ist und kurz darauf selber ins Grab muss.“ Gasperlmaier teilte die Einschätzung der Frau Doktor. Da stürmten die Wiener zu Hunderten das Ausseerland, kauften auf, was ihnen erlaubt wurde und sie sich leisten konnten, und ein geborener Ausseer kommt bloß zum Begräbnis einer Schulkameradin her und lässt sein Elternhaus verfallen. Ein komischer Kauz, der Doktor Schwaiger. Über seine Beweggründe würde man nun natürlich nichts mehr erfahren.
Die Frau Doktor trat auf die Haustür zu, wo ein Uniformierter postiert war. Er nickte nur, anstatt zu grüßen, und deutete mit dem Finger auf den ersten Stock. Auf der Stiege wandte sich die Frau Doktor um.
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