Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)
Problem ist. Die Fäden haben sich verheddert, es ist zu viel persönliches «Material» hineingekommen, obwohl diese Prosa das Rohmaterial nur eben streifen darf, ganz leicht berühren, so wie der Fregattenvogel die Oberfläche des Meeres. – Gesteigertes Triebleben, diese vergebliche Qual und Lust, es scheint auch im Alter kein Ende zu nehmen; solange unsere Libido unversehrt ist, ist auch die schöpferische Lust in uns weiter wirksam. – Mein Gesicht bedecken graue Bartstoppeln. – Ich sinne – nach der Lektüre eines Artikel von G. M. T. – über diesen merkwürdigen europäischen Typ, den sogenannten Linken, nach, diese sich ihren Leidenschaften blind überlassenden und, geben wir es zu, meist jüdischstämmigen Verbreiter der roten Pest. Die fette rote Ratte, die mir um die Füße springt, ist ein besonders charakteristischer Vertreter dieses Typs und illustriert bestens, daß Kommunist zu sein in erster Linie eine Frage von Charakter und Beschaffenheit ist und erst in zweiter Linie eine sogenannte Überzeugung. Dieser Charakter ist ein typisches Zivilisationsprodukt der späten europäischen Dekadenz. Auch er greift, wie der Faschist, die eigene Existenzgrundlage an. Aber bleiben wir beim Kommunisten: Die jüdische Hoffnung, daß im Internationalismus der kommunistischen Utopie auch das Judentum aufgehoben sein und dann verschwinden werde, hat sich infolge des Antisemitismus Stalins und der Kommunisten zerschlagen. Es blieb ihnen also, da es für ihre Liebe keinen Gegenstand mehr gab, nur der gesteigerte Haß auf die Zivilisation, der ihre Existenz überhaupt möglich machte. Dieweil sie die «Globalisierung» und den «Imperialismus» angreifen und sich mit den von Amerikanern und Europäern in wirtschaftliche Verelendung getriebenen Völkern solidarisieren, vergessen sie, daß auch sie den Lebensstandard der europäischen Ausbeuter genießen. Ganz gleichgültig, daß ihr Einkommen an dem der Banker gemessen recht niedrig ist: es ist immer noch höher als das hungernder Afrikaner oder palästinensischer Straßenhändler. Das nimmt man jedoch nicht zur Kenntnis; man kämpft für die Gerechtigkeit, weil das alte Wundmal der Freiheit juckt. Ist man Jude, gibt man den Palästinensern recht, ist man keine Jude, dann jedem, der die verhaßte Zivilisation zerstört.
20 . Juni 2004 Seit Donnerstag – also dem dritten Tag – wieder in Budapest. Ankunft am späten Abend, die Stadt schnappte still und dunkel nach Luft. Ich war gekommen, um mir am Freitagvormittag von Gerlóczy Zähne ziehen zu lassen. Das haben wir aber auf kommenden Donnerstag verschoben, weil er mich dann gleich mit Ersatz versorgen kann. – Tags darauf Abendessen in der Uhu-Villa: Magda – die vom Plattensee zurückgekommen war –, Gerlóczy, Dr. Pasternak aus Amerika und István, der Antiquar. Gute Stimmung, gutes Essen, gute Bedienung, angenehme Umgebung. Viele Judenwitze. Heute nachmittag haben wir uns Muster vom
Schicksallosen
-Film angesehen. Koltais wunderschöne Bilder, die Figuren, die Gesichter, der würdevolle, langsame Rhythmus; ich war ergriffen. Anschließend bei Zsuzsa Radnóti, wo András Visky von der Premiere und dem Erfolg eines in Pécs aufgeführten
Kaddisch
-Monologstücks berichtete. Für später ist die Aufführung einer 10 -Personen-Bühnenadaption geplant. – Meine Arbeiten befruchten die schöpferische Phantasie; schön.
23 . Juni 2004 Es ist unverzeihlich, daß ich auf diesen Seiten das Lebensgesetz des Schriftstellers derart vernachlässigt habe … Was ist das Lebensgesetz des Schriftstellers? Auf die Worte achten. Kreative Sätze hervorbringen. Ich habe der gierigen Öffentlichkeit zuviel von mir überlassen. Nun ist mein Leben eine durchlöcherte Geschichte geworden, eine flache, ausgelaugte Geschichte, ein leeres Schneckenhaus, in dem ich entsetzt kauere. Gestern die Lesung aus eigenen Texten, ich döste zwischendurch ein und hörte meine Stimme nur dumpf wie eine ferne Sägemaschine. Zuvor hatte ich die gräßlichen Flüche gelesen, die Menschen mit Pfeilkreuzergesinnung gegen mich loslassen, weil ich existiere. Eine Dame hatte diese Texte gesammelt, anscheinend, weil sie darüber empört war, Magda zufolge aber aus Schadenfreude … Und sie hat wahrscheinlich recht. Meine Existenz ist zu einem Stein des Anstoßes geworden, den ich im bitteren Paniermehl des Selbstmitleids wälze. Prasselnd und brodelnd brät er. Ich wünschte, ich hätte Freunde wie Géza Ottlik. – Gestern, als ich mit Magda und
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