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Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)

Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)

Titel: Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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mein Stoffwechsel sei nicht in Ordnung, ich funktioniere wie ein verstopfter Motor. So fühle ich mich auch. Der sympathische Dr. Chopra. Magda und ich haben getrennte Zimmer, nebeneinander. Gestern nacht las ich – allerdings müde – das fertige Material durch (
Letzte Einkehr
); ich war nicht glücklich. Genauer, ich blieb gleichgültig. Das ist kein Werturteil. Ich kann mich nur nicht von dem Gefühl befreien, überflüssig zu sein. Das sieht wie Bescheidenheit aus, dabei kommt es auf das gleiche raus, wie wenn ein anderer sich überschätzt. – Vor unserer Abreise machten wir noch die Bekanntschaft mit der Malerei von György Korniss und auch dem Künstler selbst, diesem kleinen, zerbrechlichen, sehr sympathischen Menschen. Magda hätte gern ein Bild von ihm gekauft; mir erschienen zehntausend Euro dafür zuviel. Nicht wegen des Bildes, das wahrscheinlich noch mehr wert ist, sondern wegen der Situation: Mehr als merkwürdig, daß ich mich in der Lage befinde, von einem anderen Künstler Gemälde kaufen zu können, für Geld, als wäre ich ein Bankdirektor oder ein Mafioso. Magda versteht das nicht, und ich möchte auch nicht versuchen, es ihr zu erklären. (Nebenbei ist es ihr schon einige Male gelungen, mich zum Kauf eines Gemäldes zu überreden, allerdings eher aus Freundschaft zu dem Maler als aus Kunstkennerschaft.) – Dieser Tage telefonierte ich mit Vera Ligeti – zu meinem Unglück war Ligeti in der Nähe. «Ich gebe Gyuri den Hörer», sagte sie. Nach einigem Warten die Stimme Ligetis: «Ligeti», mit unangenehm aufsteigender Betonung. Darauf ich: «Kertész» – doch ich bin unfähig, diese Art von dämlichem Benehmen fortzusetzen. Ich bemerkte, ich würde mich freuen, daß es ihm besser gehe. Darauf er: «Reden wir nicht über überflüssige Dinge.» Das einzig Überflüssige war das Telefonat selbst. In Wahrheit habe ich den armen Ligeti, der – ein außergewöhnlicher Künstler, ein großartiger Kopf – so kleinlich ist, daß er mir den Preis nicht verzeihen kann, schon lange abgeschrieben. Das ist Juden-Neid, den ich so gut kenne, noch aus meiner Kindheit; diese Art von typisch jüdischer Mentalität, die Herrn Berger, der zwei Gehilfen hatte: einen Juden – Feldmann – und einen Christen – Herrn Sütő – dazu veranlaßte, dem Juden eine verächtliche, dem anderen dagegen eine betont bevorzugte Behandlung zukommen zu lassen. Auch Ligeti wäre es lieber gewesen, wenn, sagen wir, P. E. den Preis bekommen hätte. Er hätte geknurrt – nein: er hätte gesagt, du hättest ihn verdient, aber er hat ihn gekriegt: so ist die Welt – und wäre zufrieden gewesen, weil sein Weltbild sich bestätigt hätte. Aufrichtig gesagt, mag ich Ligeti nicht und auch seine Musik nicht. Wenn ich Bartók höre, spüre ich erst, wie groß der Rangunterschied zwischen ihnen ist. Das gleiche gilt für Kurtág, der noch dazu völlig in Autismus versunken ist.
    16 . Mai 2004  Kassel, Ayurveda-Klinik. Das Ereignis der hinter mir liegenden Woche: Heute am frühen Morgen habe ich Mahlers 7 . Symphonie verstanden. In erster Linie handelt es sich um den 4 . und 5 . Satz, um diese wunderbare Utopie. Stark dazu verholfen hat mir der Dolmetscherdienst von Sir Barbirolli. – Es gibt keinen Zusammenhang zwischen beidem, aber mir ist zudem auch klargeworden, daß mein Drehbuch den Zustand
vor
dem
Roman eines Schicksallosen
widerspiegelt, sagen wir, daß das Drehbuch eigentlich das
Rohmaterial
des Romans ist.
    21 . Mai 2004  Noch immer in Kassel. Tags Kuren, nachts Arbeit, für Schlaf ist keine Zeit. Aber hier verfolgt mich niemand, und in der Ruhe finde ich langsam zu mir selbst zurück (um mich dann heimgekehrt erneut zu verlieren.) – Bartóks Streichquartett No. 5 , dieses monumentale Werk. Es macht mich wieder darauf aufmerksam, wie leer mein Leben ist, wenn es ihm an großen Erschütterungen dieser Art mangelt.
    29 . Mai 2004  Von Kassel am 24 . nach Berlin zurück, noch am selben Nachmittag ins Brecht-Theater, wo wir Taboris 90 . Geburtstag feierten. Es war ein bewegender Abend, in dessen Verlauf auch ich mein armseliges Verslein aufsagte, das der Anlaß und meine Aufrichtigkeit verschönerten. In den darauffolgenden Tagen das schon vorhandene Material für die
Letzte
umgeschrieben; bin, nachdem ich es durchgelesen habe, zufrieden. Und mit dieser Stoßarbeit habe ich mich auch erschöpft, sitze ratlos in der Öde und frage wie ein Kind: Ich langweile mich, was soll ich machen?
    3 . Juni 2004  Seither hat

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