Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)
Traum ist völlig absurd; die
Stimmung
des Ganzen war entsetzlich, nicht die Handlung, die einfach nur verworren war. – Ich sitze oben, am Schreibtisch meines Berliner Turmzimmers. Habe mich drei Tage mit der Erkältung herumgeplagt. Für
Dossier K.
ist nur noch ein allerletzter Anlauf nötig.
26 . September 2005 Pannonhalma, Fertőd (Schloß Esterházy), Petőfi-Literaturmuseum (Gespräch mit Miklós Vámos). Das Buch ist mißlungen.
30 . September 2005 Zwei Uhr nachts. Den letzten Satz von Mahlers
Neunter
gehört, so wie einst, in der Blüte meiner Jahre … Ich habe mich entschieden, die Albina-Geschichte nicht zu erzählen, weil sie nicht erzählbar ist. – Alle sind freundlich zu mir. Der Bundespräsident ebenso wie die Verkäuferin im Wertheim.
4 . Oktober 2005 Langsam treibt der Analphabetismus mich in mein Zimmer, vor die Schreibmaschine, damit doch noch etwas von mir übrig bleibt. Aber was soll bleiben? Gar nichts wird bleiben. Mir fehlt jegliche Überzeugung.
13 . Oktober 2005 Ich bin also soweit, daß ich nirgends bin … Das
Dossier
ist miserabel, und ich muß mir Gedanken darüber machen, ob ich die zum Schreiben so unabdingbaren Fähigkeiten nicht verloren habe – beispielsweise das Talent … In den vergangenen Tagen gab es nur Leid, unendlich viel Leid, wie Onkel Wanja sagen würde.
21 . Oktober 2005 Stagnation beim
Dossier
. Ich bin in einem physischen Zustand, als ginge mir langsam die Kraft aus. Schlaflosigkeit. Am Abend Thomas Bernhards Stück
Ritter, Dene, Voss
im Berliner Ensemble. Eigentlich wollte ich danach mit Christian Meier zu Abend essen; wir trafen uns auch im Theater – in Begleitung der Esterházys –, aber ich ging in der Pause. Einsames Abendessen bei Diekmann. Dann vergaß ich mich vor dem Fernseher, bis nachts um halb zwei.
25 . Oktober 2005 Es gäbe einiges nachzutragen, ich müßte berichten, wie ich zur Zeit lebe, in nichtigen Problemen versinke, Kampfpositionen aufgebe, mich hitziger und kalter Gewalt beuge … Alledem könnte ich höchstens Konkretes zufügen, uninteressante Realien, die meine Aussagen anekdotisch unterstützen würden. Aber das ist sinnlos. Das «Antileben», in dem ich stecke, hindert mich daran, mein wahres Leben weiterzuführen, das eines Schriftstellers; mir bleibt keine Zeit zum Nachdenken, zur Konzentration usw. Interessant, daß ich Terror gegenüber wehrlos bin: Ich fliehe nur, ohne daß ich zurückschlagen würde …
27 . Oktober 2005 Ich sehne mich mit fast körperlichem Schmerz danach zu schreiben. Das
Dossier
stagniert. Zudem plane ich einen abscheulichen Verrat an der
Letzten Einkehr
.
28 . Oktober 2005 Für
Dossier K.
benutze ich eine Knotenpunkt-Technik. Ich gruppiere das Material um einzelne Fragen, und man folgt nicht einer Chronologie, aus der
Der Ekel
des Schriftsteller-Helden quillt. – Gestern Abendessen bei Esterházys. Für den Esterházy-Enkel (Gáspár) war ich die große Entdeckung. Beim «Näschen»-Spiel lachte er laut los.
30 . Oktober 2005 Stagnation. Chaos. Ich habe keine Idee für die Fortsetzung des
Dossiers.
– Mit Ligeti, dem Armen, geht es zu Ende. In seiner Nähe darf nicht musiziert werden, er akzeptiert nur noch etwas Bach und Schubert. Seine eigene Musik hat er satt, wenige Minuten später verlangt er, man solle sie hören. Unwillkürlich kommt einem Leverkühn in den Sinn, das verdammte Werk. Ligeti hat dieses Buch Thomas Manns, ja, den ganzen Thomas Mann gehaßt. Im Krankenbett – noch mit wachem Verstand – las er den
Faustus
dann wieder und äußerte sich enthusiastisch darüber.
9 . November 2005
Dossier K.
läuft jetzt gut. Am vergangenen Freitag in Stuttgart beim Arzt. Er verheimlicht mir nicht, daß die Krankheit – unabhängig von dem beseitigten Erscheinungsbild – ihren Lauf nimmt … Ich kann jederzeit mit einem Anfall, Krämpfen usw. rechnen.
10 . November 2005 Müdigkeit, permanente Müdigkeit. Magdas Abendessen zu meinem Geburtstag. Esterházys. Es war schön.
12 . November 2005 Lesung in Frankfurt. Im Spiegel des Aufzugs das Gesicht eines eher unsympathischen alten Herrn; das war ich.
27 . November 2005 Die Aufzeichnungen, die ich vor ein paar Tagen gemacht habe, hat der Computer geschluckt. Er ist abgestürzt – wie man zu sagen pflegt. Es war irgend etwas Wichtiges mitzuteilen, was ich inzwischen natürlich völlig vergessen habe. Wir waren mit dem Flugzeug irgendwohin gereist – aber wohin? Vielleicht nach Frankfurt. Und am Flughafen
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